Frage an Verena Lappe von Matthias P. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Dr. Lappe,
seit einiger Zeit ist in Deutschland und weit über die Grenzen hinweg eine interessante Diskussion um das Thema des "Bedingungslosen Grundeinkommen" zu beobachten. Renommierte Persönlichkeiten wie Herr Götz Werner (dm), Herr Dr. Prof. Straubhaar vom Weltwirtschaftsinstitut und auch Ministerpräsident Althaus (CDU) stehen dieser Idee positiv gegenüber. Die Grünen und die Linke beschäftigen sich ebenfalls mit diesem Thema. Aber auch in Hamburg gibt es weitere Befürworter: Bischof Dr. Hans Christian Knuth, Cord Wöhlke (Budnikowsky) u.a.
Nun meine Frage: Wie stehen Sie zu dieser Idee? Haben Sie sich inhaltlich bereits damit beschäftigt? Könnte dies ein interessantes neues Gesellschaftsmodell sein?
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Pätzold
Sehr geehrter Herr Pätzold,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Bei den GRÜNEN gab es einen langen Diskussionsprozess zu diesem Thema. Er fand sein vorläufiges Ende im Beschluss auf unserer Bundesdelegiertenkonferenz im November 2007 in Nürnberg ( http://www.gruene.de/cms/partei/dokbin/207/207470.aufbruch_zu_neuer_gerechtigkeit.pdf ) . Auch in Hamburg haben wir uns intensiv in mehreren Veranstaltungen mit dieser Frage beschäftigt. Im Mai 2007 mündete unsere Debatte in einen Beschluss ( http://www.hamburg.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/182/182073.beschluss_hamburg_haelt_zusammen_gruene.pdf ), der auch Einfluss auf den Bundesbeschluss im November hatte.
Die Mehrheit in der Partei hat sich für eine eine bedarfsgerechte und vor allem armutsfeste Grundsicherung ausgesprochen. Ich selbst war zunächst sehr offen und neugierig in Bezug auf das bedingungslose Grundeinkommen (BG). Nach wie vor finde ich es eine faszinierende Vorstellung, auf so "einfachem" Weg möglicherweise viele Probleme zu lösen und mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Das wäre genial, wenn es klappen würde.
Doch bei genauerer Betrachtung erscheinen mir die Konsequenzen des BG nicht die zu sein, die ich gerne erreichen möchte. Insbesondere bin ich überzeugt, dass das BG geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zu Lasten von Frauen verstärkt statt abzubauen. Ich bin überzeugt, dass typische Frauenarbeit (Erziehungs-, Pflegearbeit) noch mehr in den Bereich der "ehrenamtlichen" Tätigkeiten rutschen wird bzw. Frauen keineswegs mehr Chancen haben werden, Führungspositionen zu erobern. Mir scheint auch unklar, wie gesichert werden soll, dass gesellschaftlich notwendige Arbeit (von Landwirtschaft, über Krankenhäuser oder Straßenreinigung etc.) überhaupt noch geleistet wird. Bei einer Veranstaltung, sagten die Teilnehmerinnen spontan, sie würden erst einmal eine große Pause machen, wenn sie ein BG bekommen würden - am besten im Ausland. Ich fürchte, dass ist keine kleine Minderheit, die so denkt. Außerdem ist das Konzept bisher sehr an die Staatsangehörigkeit gebunden. Was passiert mit MigrantInnen? Ich glaube, dass noch ungeklärt ist, wie das BG sich auf Lohnstrukturen auswirken wird - ich fürchte, Arbeitgeber werden drastisch die Lohnschraube nach unten drehen. Kurz und gut: Am Ende war ich nicht überzeugt, dass das BG tatsächlich so realisierbar ist, dass wir gesellschaftlich einen Fortschritt machen würden. Deshalb unterstütze ich das GRÜNE Konzept der bedarfsgerechten Grundsicherung - u.a. mit ALG II-Erhöhung auf 420Euro, mit Nachsteuerunmg beim Partnereinkommen und ohne Angriff auf die Altersvorsorge.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Verena Lappe