Frage an Verena Lappe von Marie E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Lappe,
ich verfolge seit einiger Zeit die Diskussion um das Feierabend-Parlament in den Medien. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem solchen Parlament.
Sind sie dafür oder dagegen?
Nennen Sie bitte Gründe!
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Marie Erdmann
Liebe Frau Erdmann,
Sie sprechen da eine knifflige Frage an, die ich Ihnen gerne aus meiner Sicht beantworten will. Vorausschicken muss ich allerdings, dass wir in HH nicht mehr ausschließlich ein Feierabendparlament sind, sondern auch ein Teilzeitparlament. Jede/r Abgeordnete kann sich vom Arbeitgeber je nach persönlicher Einschätzung von seiner Arbeit freistellen lassen. Von dieser Möglichkeit machen auch eine Reihe von Abgeordneten Gebrauch. Die Abgeordnetendiät soll den damit zusammenhängenden Lohnverzicht ausgleichen. Einige FunktionsträgerInnen (Fraktionsvorsitzende z.B.) haben ihre Berufstätigkeit vorübergehend gänzlich aufgegeben und sind VollzeitparlamentarierInnen. In dieser Funktion erhalten sie auch höhere Diäten. Also, im Grunde ist unser Parlament also "gemischt" in dieser Frage.
Das Teilzeitparlament lässt den meisten Abgeordneten, insbesondere wenn sie einer kleinen Fraktion angehören, oftmals zu wenig Zeit, sich ausreichend sowohl um:
1. die fachliche Arbeit im Parlament und Fraktion ausreichend zu kümmern, als auch
2. um die eigene Partei, die einen auf einen Listenplatz gewählt hat, über seine Arbeit zu informieren und
3. um die Menschen in der Stadt über die Politik im Rathaus ausreichend in Kenntnis zu setzen und im Gespräch mit ihnen zu sein.
In Bezug auf den letzten Punkt wird zukünftig das neue Wahlrecht dazu führen, dass die ParlamentarierInnen, ihre Politik vor Ort mehr erklären und die Bedürfnisse der WählerInnen stärker in die Willensbildung der Bürgerschaft und der Fraktionen einfließen lassen müssen.
Das derzeitige Hamburger System hat seinen Charme, soll doch durch die Berufstätigkeit die Abgehobenheit der Politik verhindert werden. Das ist vor der derzeit so oft zitierten Politikverdrossenheit sicherlich ein guter Ansatz. Dennoch glaube ich, dass wir perspektivisch an einem Berufsparlament nicht vorbeikommen, um der Komplexität der Anforderungen, die sich den Abgeordneten stellen, zeitliche wie finanziell gerecht werden zu können. Das würde möglicherweise auch derzeit gegebene "Befangenheiten" abbauen helfen, z.B. wenn Abgeordnete Mitarbeiter großer Firmen sind, die öffentliche Aufträge erhalten.
Mehrkosten, die sich durch ein Berufsparlament ergeben, könnten durch eine Verkleinerung des Parlaments aufgefangen werden. Momentan sehe ich keinen aktuellen Handlungsbedarf - der ergibt sich vielleicht, wenn wir erste Erfahrungen mit dem neuen Wahlrecht haben werden. Ich denke, dass es den Einzelnen noch mehr Einsatz abverlangt. Allerdings sollte man/frau parallel den Gang der Diskussion über einen Nordstaat verfolgen und nicht unötig Umstrukturierungen vornehmen, die dann bald sowieso wieder geändert werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner sehr persönlichen Meinung weiterhelfen und stehe auch gerne für Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Verena Lappe