Frage an Uwe Kekeritz von Alfred S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Letzte Woche war auf S.1 unserer Zeitung ein Artikel über eine Bundestagssitzung abgedruckt. Ein heutiger Leserbrief dazu deckt sich mit meinem Eindruck:
Eigentlich könnten sich unsere Mandatsträger die Reden im Parlament sparen. Es hört ihnen offensichtlich kaum jemand zu. Die anderen Parlamentarier müssen miteinander reden, Filmchen auf den Displays ihrer Smartphones ansehen, laut lachen, dem eigentlichen Redner den Rücken zuwenden. Beleidigende Zwischenrufe sind an der Tagesordnung. Offizielle Ermahnungen werden ignoriert. So verspielt unser Parlament den letzten Rest Ernsthaftigkeit....
Nach der Lektüre des Buches "Das Hohe Haus" von Roger Williamsen ergibt sich die Erkenntnis, dass in jeder Mittelschulklasse (unter meiner Regie) mehr Anstand, Respekt und Disziplin herrschten als in unserem Parlament. Besonders der mangelnde Respekt vor abweichenden Meinungen der jeweiligen politischen Gegner zeugt von nicht gelernter Streitkultur. Leider wird im Parlamentsfernsehen durch geschickte Kameraführung kaum gezeigt, was in den Bänken dieses Hauses an Ungehörigkeiten passiert.... Vielleicht gibt es noch Abgeordnete, die sich hier fremdschämen und auf ignorante Regierungsvertreter und Mitglieder dieses hohen Hauses positiv Einfluss nehmen …
Gehören Sie dazu oder führt der Fraktionszwang soweit, dass man dieses Verhalten hinnimmt und sogar dabei mitspielt ?
Sehr geehrter Herr Schermann,
ich möchte Ihnen widersprechen: Ungehöriges Verhalten im Plenum kommt sehr selten vor und wird - sollte es dennoch einmal passieren - vom amtierenden Präsidenten gerügt.
Das Plenum des Deutschen Bundestages ist auch - anders als bspw. im britischen Unterhaus - nicht der primäre Ort der gegenseitigen Überzeugung. Als sog. Arbeitsparlament findet die eigentliche Arbeit und das hin und her wenden von Argumenten und dem Zuwenden zum politischen Gegner in erster Linie "hinter den Kulissen" in den Ausschüssen statt. Die "Bühne" Plenum dient in erster Linie der Information der Öffentlichkeit und der Wählerinnen und Wähler über die Positionen der Fraktionen.
Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass man das Missfallen zu politischen Ansichten oder wenn Kolleginnen und Kollegen mal wieder Plattitüden oder längst gesellschaftliche überholte Ansichten vertreten, dies auch durch zugespitze Zwischenrufe oder durch Abwenden auch optisch sichtbar deutlich macht. Dennoch ist und bleibt die Debattenkultur im Deutschen Bundestag eine anständige, ja bisweilen zu brave und langweilige.
Mir persönlich wären Reden und Gegenreden von Abgeordneten, die mit Feuer und Flamme für ihr Thema brennen deutlich lieber, als all die glatt gebügelten und jeden Anstoß vermeidenden Reden, die allzu oft zu hören sind. Dann wären die Debatten auch für die Bürgerinnen und Bürger interessanter und authentischer und nicht zuletzt informativer. Dabei haben "Tritte unter die Gürtellinie" natürlich zu unterbleiben. Denn: Es geht und muss immer gehen um Argumente, nicht um Personen!
Ich möchte zudem zu bedenken geben, dass in den Zeiten einer 80:20 Mehrheit ich es keinem Kollegen - egal welcher Fraktion - verdenken kann, wenn er sich nicht mit ganzer Aufmerksamkeit dem jeweiligen Redner zuwendet, sobald die sog. erste Runde (hier wechseln sich Redner von Regierung und Opposition ab), vorüber ist und sich nur noch Redner der Regierungsfraktionen abwechseln und gegenseitig bescheinigen, wie toll ihre politischen Ideen sind.
Es ist daher schade, dass sich die Große Koalition nicht hat dazu durchringen können, den Reformideen zu folgen, die Plenardebatten zu erneuern und sich bspw. am Modell einiger Landtage zu orientieren. Dort ist unabhängiger von der Stärke der Fraktionen die Redezeit so zugeteilt, dass sich Rede und Gegenrede abwechseln und so eine interessante und mit immer neuen Argumenten bereicherte Debatte zu Stande kommt.
Hinzu kommt: Das Plenum ist auch Arbeitsplatz. Es lässt sich im verdichteten Politikgeschäft nicht immer vermeiden, sobald die volle Aufmerksamkeit (bspw. wenn sich die immer gleichen Argumente von Union und SPD aneinander reihen) nicht erforderlich ist, die Zeit sinnvoller zu nutzen. Bspw. um Texte zu lesen oder E-Mails zu beantworten - wie diese.
In diesem Sinne verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Uwe Kekeritz