Frage an Uwe Beckmeyer von Mark E. bezüglich Recht
Hallo Herr Beckmeyer,
ich habe da einige Fragen zum Thema "Bürgerrechte":
- warum tritt die SPD nicht für eine Absenkung des Mindestwahlalters auf 16 Jahre ein, wie es andere Parteien tun?
- auf S. 11 des SPD-Wahlprogramms ist die Forderung nach mehr direkter Demokratie und Volksentscheiden zu lesen. In den bisherigen beiden Legislaturperioden wurde dahingehend offenbar nichts umgesetzt – als Beispiel sei nur genannt, dass die Deutschen, anders als Franzosen oder Niederländer, nicht über die EU-Verfassung abstimmen durften. Was soll sich also konkret im Bereich Volksentscheide ändern, wenn die SPD weiterhin Regierungspartei bleibt?
- inwieweit setzt sich die SPD im Strafrecht für den Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs ein? Soll bei jugendlichen Straftätern mehr auf den Erziehungsaspekt oder mehr auf Strafe gesetzt werden?
- was will die SPD für den Schutz der Bürger vor der ungewollten Bloßstellung durch Medien wie z.b. der „BILD“-Zeitung tun?
- unter der rot-grünen Regierung wurden viele wichtige Entscheidungen von der öffentlichen Debatte im Bundestag ausgeschlossen und in Kommissionen und Arbeitsgruppen verlagert, in denen Lobbyisten gewichtige Mitspracherechte haben und in deren Arbeit die Öffentlichkeit keinen Einblick hat – insbesondere letzteres für mich völlig unverständlich. Wird die SPD diesen Kurs, wenn sie Regierungspartei bleibt, beibehalten, oder soll die parlamentarische Arbeit wieder transparenter für den Bürger werden? Wenn ja, welche Entscheidungsprozesse werden dann wieder öffentlich nachvollziehbar sein, und welche finden weiterhin hinter verschlossenen Türen in Kommissionen statt?
Ich bedanke mich für Ihre Antworten.
MfG
Mark Eisner
Sehr geehrter Herr Eisner,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen, die ich Folgenden gerne beantworten möchte.
1) Die SPD steht für politische Partizipation von Jugendlichen:
die SPD will Kinder und Jugendliche zur Teilnahme am demokratischen Leben ermutigen. Für die SPD ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ein wichtiger Teil ihres jugendpolitischen Handelns. Wir wollen insbesondere jugendliche Menschen dazu ermutigen, ihre Position zu vertreten, sich für andere einzusetzen und Zivilcourage zu zeigen.
Im Rahmen der Initiative „Projekt P“ haben wir festgestellt: Es lohnt sich, vorhandene Beteiligungsmöglichkeiten zu nutzen und neue zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Deutschen Bundesjugendring und der Bundeszentrale für politische Bildung konnten wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf allen Ebenen voranbringen. Kinder und Jugendliche werden motiviert und angeleitet, praktische Möglichkeiten politischer Beteiligung kennen zu lernen und zu nutzen.
Die SPD ist offen für die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Auf unsere Initiative ist in einigen Kommunen die Kommunalverfassung bereits entsprechend geändert worden. Wir meinen aber, dass es wichtig und notwendig ist, zunächst die Informationen von Jugendlichen über die politischen Abläufe zu verbessern, bevor man das Wahlalter senkt.
2) Die SPD steht für mehr direkte Demokratie:
Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid. So steht es in unserem Wahlmanifest. Die SPD ist die einzige Partei, die sich seit den 1970er Jahren konsequent für mehr Demokratie eingesetzt hat. Wir wollen mehr demokratische Beteiligungsrechte für alle Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger aktiv mitentscheiden, mitgestalten und mitverantworten.
Deshalb haben wir mit unserem Koalitionspartner einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Die hierfür notwendige Zweidrittel-Mehrheit für die erforderliche Änderung unseres Grundgesetzes ist vor allem an der ablehnenden Haltung der Union gescheitert. Aber die SPD wird weiter dafür einstehen, dass mit Volksinitiativen, Volksbegehren, Volkentscheiden und Referenden den Bürgerinnen und Bürgern künftig mehr direkter Einfluss in unserer Demokratie gegeben wird.
3) Die SPD steht für den Schutz der Opfer von Kriminalität:
Wir wollen Sicherheit und Schutz vor Verbrechen und Willkür. Das ist für uns ein grundlegendes Bürgerrecht.
Der Schutz von Kriminalitätsopfern war für die SPD-Bundestagsfraktion daher schon immer der wichtigsten rechtspolitischen Schwerpunkte. In den vergangenen sieben Jahren haben wir einiges für die Opfer von Straftaten getan. Das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist am 28. Dezember 1999 in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz wird der Anwendungsbereich des Täter-Opfer-Ausgleichs in Strafverfahren erweitert. Richtern und Staatsanwälten wird die Pflicht auferlegt, in Strafverfahren die Möglichkeiten eines Ausgleichs zwischen Beschuldigtem und Opfer zu prüfen. Das Gesetz rückt die Belange von Kriminalitätsopfern stärker in den Vordergrund und verbessert ihre Rechtsstellung.
Fünf Prozent des Geldstrafenaufkommens sollen künftig über Opferorganisationen unmittelbar den Opfern von Straftaten zugute kommen. Zudem sollen die Opferinteressen bei der Vollstreckung von Geldstrafen stärker als bisher berücksichtigt werden. Dazu gehört, dass Wiedergutmachungsansprüche des Opfers gegenüber dem Täter grundsätzlich Vorrang genießen gegenüber der Vollstreckung einer Geldstrafe zugunsten des Staates. An der Gewährleistung psychosozialer Hilfe besteht aus unserer Sicht ein erhebliches Interesse. Die notwendige Mehrheit für die Reform des Sanktionenrechts ist an der ablehnenden Haltung der Länder gescheitert. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich aber weiterhin für eine opferorientierte Kriminalpolitik einsetzen.
Jugendspezifische Kriminalität wollen wir durch gesetzliche Maßnahmen im Bereich der Prävention, Strafverfolgung und Justiz bekämpfen. Wir sagen: Das Jugendstrafrecht hat sich bewährt. Der Ansatz, straffällig gewordenen Jugendlichen bei ihrer Integration in die Gesellschaft durch Maßnahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu helfen, hat sich als sinnvoll und erfolgreich erwiesen. Am Erziehungsgedanken halten wir daher fest.
Im Bereich Prävention haben wir schon viel erreicht. So haben wir 2001 das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ initiiert. Es unterstützt Projekte, die auf eine Stärkung der demokratischen Jugendkultur abzielen. Seit 2001 wurden bundesweit bereits 3.652 Projekte, Initiativen und Maßnahmen gefördert. Bis 2006 sollen in den Programmen insgesamt 182,4 Millionen Euro von der Bundesregierung und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung gestellt werden.
4) Die SPD steht für eine Balance zwischen Pressefreiheit und
Persönlichkeitsrechten:
Für uns stand schon immer Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt im Vordergrund. Pressefreiheit ist für uns ein hohes Gut. Ohne sie ist Demokratie nicht denkbar. Zensur zerstört die Lebendigkeit und Substanz der Demokratie.
Gleichwohl gilt: Die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen müssen gegen die Befriedigung eines reinen Sensationsinteresses und die Verfolgung kommerzieller Ziele der Medien geschützt werden. Denn nicht alles, was von Rechts wegen zulässig wäre, ist auch ethisch vertretbar.
Bei inhaltlichen Beschränkungen der Berichterstattungsfreiheit würde der Gesetzgeber jedoch schnell in Konflikt mit der grundgesetzlich geschützten Medienfreiheit kommen. Die in Deutschland bestehenden Verfahren zum Schutz des Persönlichkeitsrechtes des einzelnen Bürgers – etwa die Anrufung des Deutschen Presserates oder Klagen vor Zivilgerichten auf Schmerzensgeld – haben sich bewährt. Mit dem Deutschen Presserat und dem Pressekodex verfügen wir in Deutschland über ausgezeichnete Instrumente der Freiwilligen Selbstkontrolle im Printbereich. Eine Entsprechung stellen die 15 Landesmedienanstalten dar, die in Deutschland für die Zulassung und Aufsicht des privaten Hörfunks und Fernsehens in Deutschland zuständig sind.
Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung sind wichtige demokratische Errungenschaften und elementarer Teil unserer Verfassung, die – schon aus historischen Gründen – nicht hoch genug einzuschätzen sind
5) Die SPD steht für ein starkes Parlament:
Die Einrichtung von Kommissionen ist aus unserer Sicht ein Weg, um einen breiteren gesellschaftlichen Konsens zu erzielen und im Konsens mit den beteiligten Akteuren bessere Lösungen zu erreichen als im Wege einseitiger Politikgestaltung. Zugleich bieten solche Gremien die Möglichkeit, externen Sachverstand für den politischen Entscheidungsprozess nutzbar zu machen.
Der Bundestag gewährleistet durch die öffentliche Diskussion von Alternativen eine angemessene Berücksichtigung aller Interessen. Es verhält sich also keineswegs so, dass politische Verantwortung an Experten „delegiert“ wird. Die Federführung obliegt der Regierung, und das Letztentscheidungsrecht des Parlamentes bleibt bestehen.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Beckmeyer