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Ute Finckh-Krämer
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Frage von Elke K. •

Frage an Ute Finckh-Krämer von Elke K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Was halten Sie von einem allgemeinen, ständigen Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit?

Wie stehen Sie zu einem Verbot von religiösen Symbolen in staatlichen Institutionen (Ämtern, Schulen, Kindergärten, Gerichte) und für die dort Beschäftigten?

Wie stehen Sie dazu, Minderjährigen in Kindergarten und Schule das Tragen von Kopftuch und „Schleier“ zu verbieten?

Was werden Sie gegen islamistische Agitation unternehmen? Welche Organisationen halten Sie für bedenklich? Berücksichtigen Sie bei Ihren Entscheidungen die Erkenntnisse von BKA und Verfassungsschutz?

Wie denken Sie über positive Diskriminierung von Minderheiten in der Schule (Sonderregelungen für Sport-, Schwimmunterricht bzw Sexualerziehung, Klassenfahrten).

Wie stehen Sie zur Einführung einer dreijährigen Kindergartenpflicht? Was halten Sie von mit mindestens 4 h täglich und jährlicher standardisierter Überprüfung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder und ggf verpflichtendem Förderunterricht, sowie einem verbindlichen sprachlichen Mindeststandart beim Wechsel auf die Grundschule?

Was gedenken Sie in der nächsten Legislaturperiode gegen ethnische Segregation und Gettobildung zu unternehmen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau K.,

herzlichen Dank für Ihre Fragen. Ich möchte dazu zunächst zwei Vorbemerkungen machen: Unser Grundgesetz schützt aus gutem Grund die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit des religiösen Bekenntnisses. An Verbote, auch und gerade von religiösen Symbolen und von religiös motivierter Bekleidung, hat das Bundesverfassungsgericht daher zu Recht hohe Anforderungen gestellt. Ich bin zusätzlich davon überzeugt, dass es besser ist, Menschen zu überzeugen als ihnen etwas zu verbieten. Verbote, deren Sinn die Betroffenen nicht einsehen, werden oft nicht eingehalten.

Von einem allgemeinen Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit halte ich nichts. Spätestens wenn Sie an die Integralhelme der Motorradfahrer oder den Kälteschutz flotter Fahrradfahrer im Winter denken, wäre das gar nicht durchzuhalten. Was ist im Sommer mit überdimensionierten Sonnenbrillen? Müssen Sonnenallergiker dann immer im Schatten bleiben?

Ich halte auch ein generelles Verbot von religiösen Symbolen in öffentlichen Einrichtungen und für die dort Beschäftigten für falsch. Man kann über die Kruzifixe in bayrischen Schulen und Amtsstuben unterschiedlicher Meinung sein - aber es gibt wirklich wichtigere Probleme. Manche Menschen tragen Kreuze oder Davidssterne als modisches Accessoire und nicht als Zeichen eines religiösen Bekenntnisses. Wo soll man da Grenzen ziehen? Das einzige, was ich für sinnvoll halte, ist, dass in bestimmten Situationen diejenigen, die miteinander verhandeln, das Gesicht des jeweils anderen sehen können sollten. Das gilt z.B. bei Gerichtsverhandlungen oder beim Ausstellen von Ausweisen, aber auch dann, wenn Kinder vom Kindergarten abgeholt werden und die Erzieher*innen erkennen müssen, ob die abholende Person wirklich berechtigt ist, das Kind abzuholen.

Auch von einem generellen Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen halte ich nichts. Es gab bisher einen dokumentierten Fall einer Schülerin, das in der Sekundarstufe einen Niqab getragen und ohne irgendwelche schulinternen Probleme ihren Abschluss gemacht hat. Sicher müssen Schulen darauf achten, dass keine Schülerin gemobbt wird, die bestimmten religiösen Bekleidungsregeln nicht folgt. Mobbing muss aber generell verhindert werden, und dafür gibt es auch bewährte Verfahren, z.B. den "no blame approach".

Im Unterausschuss Zivile Krisenprävention haben wir uns in dieser Legislaturperiode mit dem Thema islamistische Radikalisierung ausführlich befasst. Wir haben gemeinsam mit dem Innenausschuss Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen, die präventiv gegen eine Radikalisierung vorgehen. Inzwischen wird die Arbeit derartiger Organisationen wesentlich stärker gefördert als noch vor drei Jahren. In Bezug auf Organisationsverbote halte ich die Erkenntnisse der Polizei (neben dem BKA die der Länderpolizeien) für verlässlicher als die des Verfassungsschutzes. Ich bin als Abgeordnete nicht für derartige Verbote zuständig (außer in meiner Rolle als Kontrolleurin der Bundesregierung), habe aktuell aber den Eindruck, dass unsere Innenminister hier zeitnah auf entsprechende Erkenntnisse reagieren und die bisher vorgenommenen Überwachungsmaßnahmen bzw. erteilten Verbote nachvollziehbar und angemessen sind.

Sonderregelungen für Sport-, Schwimmunterricht bzw Sexualerziehung, Klassenfahrten sind für mich keine "positive Diskriminierung" (dieser Begriff bezieht sich darauf, dass eine Gruppe etwas bevorzugt erhält, und das ist ja gerade nicht das, was Sie vermuten). Sport- und Schwimmunterricht werden in den meisten Bundesländern ab der 5. Klasse nach Geschlechtern getrennt erteilt. Ich weiß, dass es bei Gymnasien mit Mädchenüberhang manchmal das Angebot an Mädchen gibt, am Sportunterricht der Jungen teilzunehmen, um die Gruppengrößen anzugleichen, aber das geschieht dann auf freiwilliger Basis. Sexualerziehung ist generell ein Reizthema (auch und gerade in katholisch-konservativen Gegenden), hier trete ich auch dafür ein, dass auf Elternabenden sachlich darüber informiert wird. Bei Klassenfahrten sind hier in Berlin die Fahrtkosten häufiger ein Problem als eventuelle Bedenken wegen der gemeinsamen Teilnahme von Mädchen und Jungen. Auch hier ist nach meiner Erfahrung eine rechtzeitige Klärung mit allen Eltern entscheidend (und ggf. eine Unterstützung durch Fördervereine etc.). Einen Zwang zur Teilnahme kann es m.E. nicht geben.

Eine Kindergartenpflicht halte ich nicht für sinnvoll, wohl aber ein intensives Werben für dieses Bildungsangebot und eine generelle Gebührenfreiheit dafür. Damit wird hier in Berlin zumindest für das letzte Kindergartenjahr erreicht, dass fast alle Kinder den Kindergarten besuchen. Auch Sprachstandsprüfungen und sprachliche Förderung sind Standard. Fast alle Eltern sind froh, wenn ihre Kinder zusätzlich gefördert werden. Hier in Berlin wird die Förderung ggf. auf der Grundschule fortgesetzt, und das finde ich gut und richtig. Eine Zurückstellung vom Schulbesuch nur wegen sprachlichen Förderungsbedarfs halte ich nicht für sinnvoll.

Gegen ethnische Segregation hilft am ehesten eine Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik, die einen hohen Anteil von Wohnungen im Besitz von städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften fördert. Die vergeben Wohnungen normaler Weise so, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft zu Nachbarn werden. Privaten Vermietern kann man da weniger Vorschriften machen. Zum Glück vermieten viele von ihnen ohne Ansehen der Person, so dass z.B. in dem Haus, in dem ich mit meinem Mann wohne, auch Menschen leben, die oder deren Eltern aus drei nichteuropäischen Staaten stammen. Ich trete daher dafür ein, dass die Wohnungsbauförderung aus Bundesmitteln fortgesetzt und aufgestockt wird und damit vor allem städtisches und genossenschaftliches Wohnen gestärkt wird. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft Nachbarn sind, setzt sich das Miteinander automatisch in Kindergärten und Schulen fort. Ich hatte im letzten Jahr eine Schulklasse aus meinem Wahlkreis zu Gast, in der 17 Kinder zu Hause zweisprachig aufwuchsen - mit insgesamt mindestens sechs Sprachen, die das eine oder andere zu Hause neben dem Deutschen spricht. Alle sprachen zum Zeitpunkt des Besuches (6. Grundschulklasse) fast oder ganz fehlerfrei Deutsch, weil Deutsch an der Schule nicht nur die Unterrichtssprache, sondern auch die Verständigungssprache der Kinder untereinander ist. Es war keine "internationale" Schule für mobile Akademikerfamilien, sondern eine "Brennpunktschule".

Mit freundlichen Grüßen

Ute Finckh-Krämer