Frage an Ursula Groden-Kranich von Achim F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Was werden sie tun damit in Zukunft Menschen die Leben retten z.B. auf dem Mittelmeer nicht ins Gefängnis müssen.
Sehr geehrter Herr F.,
lassen Sie mich vorweg festhalten, dass die Pflicht zum Retten von Menschenleben sowohl völkerrechtlich verankert ist als auch dem christlichen Gebot der Nächstenliebe entspricht, das mir enorm wichtig ist. Mir ist niemand bekannt, der ernsthaft das Gegenteil behaupten und belegen würde. Ihre These, dass jemand (hier: Carola Rackete) ins Gefängnis müsse, WEIL sie Menschenleben retten wolle, ist so allerdings falsch - auch wenn die These genauso von diversen Medien und auch Politikern zu hören war. Leider ist die Wahrheit um das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer wesentlich komplexer, und dazu gehören unter anderem folgende Aspekte: 1. Es ist Aufgabe der EU-Staaten, gemeinsam (!) ihre Außengrenzen zu schützen und eine sinnvolle und faire Einwanderungspolitik zu gewährleisten. 2. Es ist Aufgabe der Herkunftsländer, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen und dadurch den Weg für berechtigte Asylsuchende frei zu machen und indirekt Menschen ohne Aussicht auf Asyl von der gefährlichen Flucht abzuhalten. 3. Nordafrikanische Transitländer müssen zulassen, dass das UNHCR potentielle Ausreisende (ob als Flüchtling oder Arbeitsimmigrant) betreut, damit sie sicher und regulär ausreisen können, wenn denn ein berechtigter Anspruch besteht. 4. Organisationen wie Sea Watch und Frau Rackete bewegen sich, auch mit den ehrenhaftesten Motiven, nicht im rechtsfreien Raum. Urteile des Europäische Menschenrechtsgerichtshofes, den Sea Watch angerufen hatte, sind für die Organisation und für Frau Rackete ebenso einzuhalten wie das allgemeine Seerecht und die Rechtsordnung des Staates Italien - und zwar völlig unabhängig davon, ob man der politischen Richtung der aktuellen italienischen Regierung zustimmt oder nicht.
Als Europa- und Außenpolitikerin setze ich mich dafür ein, bestehendes Recht - sowohl der EU als auch einzelner Mitgliedstaaten - zu schützen und konsequent umzusetzen. Das erwarten zu Recht nicht nur die Bürgerinnen und Bürger der EU, sondern gerade auch die Menschen, die zu uns kommen wollen und die in ihren Herkunftsstaaten oft chaotische politische und rechtliche Zustände erleben mussten. Wenn europäisches Recht je nach Gusto einmal gilt und einmal nicht, ist das meines Erachtens in alle Richtungen das völlig falsche Signal.
Ich bedaure zutiefst, dass es der EU noch nicht gelungen ist, ihre Flüchtlingspolitik schneller und effektiver abzustimmen und würde mir oft mehr Solidarität und weniger Machtkämpfe auf nationaler wie internationaler Ebene wünschen. Ich bin aber mehr denn je überzeugt, dass wir diese großen Herausforderungen nur gemeinsam lösen können und werbe immer dafür, bei großen wie kleineren Mitgliedstaaten der EU. Der Fall Rackete zeigt doch einmal mehr, dass Alleingänge "mit der Brechstange" - sei es von Staaten wie Italien, sei es von Organisationen wie Sea Watch - kein einziges Problem lösen, weder akut noch perspektivisch. Das gelingt uns nur mit großen gemeinsamen Anstrengungen und nur mit einer Rechtsgrundlage, die für alle EU-Staaten und alle Asylsuchenden gilt.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Groden-Kranich MdB