Frage an Ursula Groden-Kranich von Nico H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Groden-Kranich,
bei den Verhandlungen über CETA wurde vereinbart, dass künftig in einem „Regulativen Kooperationsforum“, in dem Unternehmen als private Akteure vertreten sind, bestehende wie geplante Gesetze in Bezug auf den Handel diskutiert werden. Dabei soll eine Angleichung oder gegenseitige Akzeptanz von Standards erreicht werden. Befürchtet wird, dass hierdurch Konzerne die Gesetzgebung massiv beeinflussen würden und dass Umwelt- und Verbraucherschutzstandards (wie das Verbot von Hormonfleisch in der EU) abgesenkt bzw. abgeschafft werden könnten.
Des Weiteren beinhaltet CETA gemeinsame Ziele, die letztlich das EU-Zulassungs- und Kennzeichnungssystem hinsichtlich Agro-Gentechnik aushebeln könnten (z.B. durch Aufgabe des Nulltoleranz-Prinzips und des Vorsorgeprinzips bei der Zulassung).
Das Abkommen enthält zudem eine sogenannte Investitionsschutzklausel. Eine solche Klausel in einem anderen Abkommen ermöglichte es Veolia, den ägyptischen Staat wegen der von ihm beschlossenen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zu verklagen. Die kanadische Regierung musste einer amerikanischen Firma acht Millionen Dollar Entschädigung zahlen, weil Kanada den Handel mit der krebserregenden Substanz PCB verboten hatte. Allein die Androhung solcher Klagen könnte zur Folge haben, dass Staaten auf Gesetze, die Umwelt und Mensch schützen sollen, verzichten. Diesbezügliche Befürchtungen betreffen unter anderem ein mögliches Verbot von Fracking sowie ein Nachtflugverbot.
Auch vor dem Hintergrund, dass derartige Abkommen als faktisch irreversibel gelten, bin ich stark besorgt, weil mir die Möglichkeit der politischen Gestaltung des Zusammenlebens auf demokratische Art und Weise sowie Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit wichtig sind. Deshalb bitte ich Sie, mir zu sagen, ob Sie, falls über CETA ( in der bestehenden Fassung) im Bundestag abgestimmt werden sollte, bereit wären, gegen das Abkommen zu votieren.
Mit freundlichen Grüßen
Nico Heinz-Fischer
Sehr geehrter Herr Heinz-Fischer,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die mich über das Portal abgeordnetenwatch.de erreichte. Ihre Bedenken kann ich nachvollziehen, halte sie jedoch nach den mir vorliegenden Informationen für unbegründet. Erlauben Sie mir zunächst einige generelle Bemerkungen zum EU-Kanada-Freihandelsabkommen.
CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) dient der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Kanada. Hierzu soll insbesondere der Marktzugang für Waren, landwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen verbessert werden. Kanada ist mit 8,8 Mrd. Euro Ausfuhrvolumen und 4,5 Mrd. Euro Einfuhrvolumen (Zahlen von 2013) ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. Insofern ist es sehr sinnvoll diese Partnerschaft weiter zu vertiefen und zu intensivieren.
Durch CETA sinkt der Zoll für alle Industriegüter praktisch auf Null. Zentral ist auch die Marktöffnung bei Dienstleistungen und im öffentlichen Auftragswesen, insbesondere weil damit in Kanada künftig auch die Provinzen und Kommunen (wo der größte Teil der Aufträge vergeben wird) ihre Beschaffungsmärkte für deutsche Anbieter öffnen müssen. Der deutsche Beschaffungsmarkt war für Anbieter aus dem Ausland bereits seit langem offen. Dies gilt mit CETA nun auch für deutsche Unternehmen in Kanada. CETA schafft also faire Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen, von denen insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren werden. Außerdem enthält CETA Regelungen, um mehr Mobilität mit Blick auf Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen zu gewährleisten, sowie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen.
Eine Absenkung von Schutzstandards durch CETA, z.B. in den Bereichen des Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutzes wird nach mir bisher vorliegenden Informationen nicht erfolgen. Dies hat auch der kanadische Verhandlungsführer bei einem Gespräch mit unserer Fraktion besonders betont. So sind u.a. Schutzvorschriften für die öffentliche Daseinsvorsorge, audiovisuelle Dienstleistungen, Verbraucher- und Umweltschutz sowie sogenannte Arbeitsmarktklauseln vorgesehen, die gewährleisten, dass es hier nicht zu Standardabsenkungen kommt.
Wie Sie bereits richtig anführten, enthält CETA Regelungen zum Investitionsschutz und zum Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Generell ist es unsere deutsche Position, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen. Nur Investitionen, die im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des Gaststaats stehen, sind durch Investitionsschutzverträge geschützt. Dementsprechend räumt das Investitionsschutzkapitel in CETA nur solchen Investitionen Schutz ein, die unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Anlagelandes getätigt wurden, in Deutschland also im Einklang mit deutschen Recht und EU-Recht stehen. Außerdem enthält CETA eine Regelung, wonach nicht-diskriminierende staatliche Maßnahmen im öffentlichen Interesse, wie beispielsweise im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes, keine entschädigungspflichtige indirekte Enteignung darstellen. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn die betreffenden Maßnahmen manifest unverhältnismäßig sind. Dann wären sie aber bereits nach deutschem Verfassungsrecht rechtswidrig, so dass CETA insoweit keine zusätzlichen Ansprüche für Investoren schafft. Ein aktuelles Rechtsgutachten des Max-Planck-Instituts für das Bundeswirtschaftsministerium (http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-gutachten-investitionsschutz,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf) bestätigt, dass der durch CETA gewährte Schutz ausländischer Investoren deutlich hinter dem Investitionsschutz des Grundgesetzes zurück bleibt. Mit anderen Worten: Das deutsche Verfassungsrecht bietet für ausländische Investoren bereits heute einen wesentlich stärkeren Schutz gegen staatliche Maßnahmen als CETA. Der im Grundgesetz verankerte gesetzgeberische Spielraum zum Schutz öffentlicher Interessen (z.B. nationale Sicherheit, Umwelt, Gesundheit etc.) wird durch CETA nicht tangiert.
In Ihrer Nachricht gehen Sie auch auf das so genannte „Regulartory Cooperation Council“ (RCC) ein. Hierbei handelt es sich um ein in der internationalen Handelspraxis relativ neues Instrument. Die mir bisher bekannten RCC bestehen zwischen den USA und Kanada und den USA und Mexiko und gehen auf entsprechende Kooperationen im Rahmen der NAFTA zurück. Sie wurden im Jahre 2011 eingesetzt. Soweit ersichtlich setzen sich diese RCC ausschließlich aus staatlichen Vertretern der Regulierungsinstitutionen sowie der Handels- und Außenministerien zusammen. Industrieverbände und Zivilgesellschaft sind nicht formell beteiligt, sollen aber in Konsultationsprozesse einbezogen werden. Der Einfluss der Unternehmen auf diese RCC dürfte daher in der gleichen Weise bestehen, in der Unternehmen generell Einfluss auf Regulierungsagenturen haben (sog. regulatory capture). Das Ziel der RCC besteht darin, regulatorische Transparenz zu erhöhen und „unnötige“ Regulierungen zu vermeiden. Nach Vorstellungen der EU-Kommission könnte der RCC die Aufgabe haben, die Umsetzung des CETA zu überwachen und Vorschläge zu unterbreiten. Eigenständige Regulierungskompetenzen soll der RCC nach mir vorliegenden Informationen nicht haben. Ob und wie Unternehmen und die Zivilgesellschaft auf den RCC Einfluss haben werden, ist derzeit noch unklar.
CETA ist zwar offiziell zu Ende verhandelt. Mit einer förmlichen Zuleitung an den Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung ist jedoch nicht vor dem zweiten Halbjahr 2015 zu rechnen. Zunächst wird der Text von der EU-Kommission und dem Rat juristisch überprüft und anschließend den Staats- und Regierungschefs vorgelegt. Erst wenn diese über die weitere Behandlung entschieden haben, wird der Vertragstext in alle Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt und den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vorgelegt. Da diese für den Deutschen Bundestag maßgeblichen Übersetzungen noch nicht vorliegen, kann ich noch keine abschließende Aussage über mein Abstimmungsverhalten machen. Ich werde den Prozess weiterhin kritisch und konstruktiv begleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Groden-Kranich MdB