Frage an Undine Kurth von Daniel K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kurth,
Das um unser aller Sicherheit besorgte Bundesinnenministerium plant den nächsten Streich, versteckt in einem "U-Boot-Paragrafen". So geheimnisvoll sieht also im Internet-Zeitalter die neue politische Kultur in Berlin aus?
Der Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes" soll jedem Anbieter von Internetdiensten wie Google, Amazon oder StudiVZ das Recht geben, das Lese-, Schreib- und Suchverhalten seiner Besucher ohne Anlass aufzuzeichnen – vorgeblich zum "Erkennen" von "Störungen". Mit Hilfe der über alle Internetnutzer gespeicherten Daten würden Rückschlüsse auf unsere persönlichen Interessen, Lebenssituation und Schwächen möglich. Die Surfprotokolle sollen ohne richterliche Anordnung an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie an die Unterhaltungsindustrie herausgegeben werden dürfen.
Es werden Parallelen zu einem weiteren deutschen Staat ersichtlich, der 1990 von der Weltbühne verschwunden ist. Kommt Ihnen das als Abgeordneter, der in einem Ost-Wahlkreis tätig ist und mit den Sorgen und Ängsten der Menschen zu tun hat, die 40 Jahre unter Überwachung und Repression leiden mussten, nicht stark befremdlich vor?
Heute wird eine zunehmende Anwendung der früher bemängelten Maßnahmen der DDR durch unbedachte Abstimmungen mangelhaft und desinformierter Abgeordneter immer verschärfter ermöglicht. Oben genannter Entwurf würde bei Abstimmung eine verdachtslose Aufzeichnung des Surfverhaltens im Internet legitimieren. Ich frage Sie hiermit warum das Kommunikationsverhalten der in einer freiheitlichen Demokratie lebenden Bürger aufgezeichnet und überwacht werden muss?
Mit Begründungen wie der angeblichen Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung wird jeder Bundesbürger unter Generalverdacht gestellt. Datenschutz & Unschuldsvermutung ade!
Wie stehen Sie zu dem von mir eingangs aufgeführten Gesetzentwurf? Wie werden Sie sich bei einer zukünftigen Abstimmung im Bundestag positionieren?
Mit freundlichen Grüßen
Hallo - guten Tag Herr Kisser,
in Bezug auf die geplante Novellierung des sogenannten BSI-Gesetzes und den darin enthaltenen Plänen zur Internetprotokollierung teile ich Ihre Bedenken.
Der von Ihnen angesprochene Gesetzentwurf (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes; Bundestagsdrucksache 16/11967) wurde im Januar 2009 vom Kabinett beschlossen. Derzeit befindet sich das Gesetzesvorhaben in der parlamentarischen Beratung.
Mit Ihrer Kritik am Gesetzentwurf laufen Sie bei der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN offene Türen ein. Prinzipiell halten wir es für richtig, die Sicherheit von IT-Systemen zu verbessern - und hierzu dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mehr Kompetenzen, Personal- und Finanzmittel zu gewähren. Absolut falsch aber ist es, Regelungen zu schaffen, die eine Totalüberwachung des Internetverhaltens der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen. Dazu gehört zum einen die geplante vollständige Protokollierung jeglicher Kommunikation von Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern mit den Bundesbehörden (§5 BSI-Gesetz). Zum anderen gehört hierzu die vorgesehene Änderung des Telemediengesetzes (TMG), wonach "Diensteanbieter Nutzungsdaten zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen seiner für Zwecke seines Dienstes genutzten technischen Einrichtungen erheben und verwenden" dürfen (§15 Abs. 9 TMG neu). Letzteres würde in der Tat bedeuten, dass Internet-Diensteanbieter die Kommunikation ihrer Kundinnen und Kunden unter dem Deckmantel der Störungsbeseitigung vollständig überwachen können.
Das Vorhaben der Bundesregierung steht damit in eklatantem Widerspruch zum bestehenden Verbot der Protokollierung personenbezogener Daten über den Nutzungsvorgang hinaus (§13 Abs. 4 S. 2 TMG). Richtig ist, dass Anbietern effektive Möglichkeiten zur Beseitigung von Störungen an die Hand gegeben werden müssen. Dies ist aber schon durch das geltende TMG gedeckt. Daneben sind die Anbieter angehalten, Hard- und Software einzusetzen, die ohne die Nutzung personenbezogener Daten Angriffe abwehren kann. Das fordern zu Recht auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.
Zudem fehlen bei den geplanten Vorhaben elementare Mindestvoraussetzungen wie eine richterliche Anordnung (sogenannter Richtervorbehalt) oder die Beschränkung der Datenprotokollierung auf ausgewählte Fälle wie z. B. schwere Straftaten. Es steht außerdem zu befürchten, dass die angesammelten Daten auch für andere Interessen wie z. B. die Verfolgung von Urheberrechtsdelikten herangezogen werden können.
Sie können sicher sein, dass sich meine Fraktion im parlamentarischen Beratungsverfahren äußerst kritisch zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung äußern wird. Die Beschneidung von Bürgerrechten und die weitere Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses werden von den Grünen abgelehnt. Einer Pauschalvollmacht zur Internetüberwachung durch die Diensteanbieter werden wir nicht zustimmen. Wir lehnen es entschieden ab, die gesamte Bevölkerung unter einen Generalverdacht zu stellen. Allerdings - und auch das gehört zur Wahrheit - wird auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag unsere Ablehnung das Gesetz nicht verhindern können. Leider.
Im Übrigen hat die bündnisgrüne Bundestagsfraktion auch geschlossen gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gestimmt, die seit 1.1.2009 in Kraft ist. Unserer Ansicht nach ist die Vorratsdatenspeicherung ein klarer Eingriff in das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation. Wir bezweifeln die Rechtmäßigkeit des Gesetzes und nehmen das Bundesverfassungsgericht beim Wort, das betont, dass die Sammlung von personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Gemeinsam mit 30.000 Bürgerinnen und Bürgern klagt die grüne Bundestagsfraktion in Karlsruhe gegen dieses Gesetz.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 10. Februar 2009 die Klage Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung abgewiesen. Das hat uns zutiefst enttäuscht. Allerdings hat der EuGH lediglich die Frage der Rechtsgrundlage behandelt. Er hat klargestellt, dass sein Urteil keinerlei Aussage darüber trifft, ob die Vorratsdatenspeicherung eine Verletzung von Grundrechten darstellt. Eine solche Bewertung steht noch aus. Wir halten die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor für unnötig und bürgerrechtsfeindlich.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben
und grüße Sie freundlich
Undine Kurth