Frage an Ulrike Rodust von Christina B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Rodust,
ich habe folgende Frage im Rahnen einer Präsentation zum Thema Integrationspolitik in der EU:
Wie stehen Sie zur Integrationspolitik in der EU und wie sehen Sie die Zukunft der EU?
Über eine kurze Stellungnahme würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
C.Brandenburg
Liebe Frau Brandenburg,
vielen Dank für Ihre Frage und dass Sie auch die Position einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Ihre Präsentation mit einbeziehen möchten.
Da Ihre zweite Frage sich gezielt auf die Zukunft der EU bezieht, verstehe ich die erste Frage als Frage zum europäischen Integrationsprozess. Wenn Sie "Integrationspolitik" im Sinne der Integration von Minderheiten meinten, können Sie mir auch hierzu jederzeit gerne weitere Fragen stellen.
Zunächst zu meiner Positionierung gegenüber dem europäischen Integrationsprozess. Ich bin der festen Überzeugung, dass der europäische Integrationsprozess maßgeblich zu Frieden, Stabilität und Wohlstand in der EU beigetragen hat. Über die Vergangenen Jahrzehnte haben sich jedoch zwei politische Lager herauskristallisiert: eines, welches die Kompetenzen der EU zurückdrängen möchte und ein anderes, welches sich für eine stärkere politische Integration Europas einsetzt. Die Folge ist, dass der ursprüngliche Konsens für ein föderales Europa heute nicht mehr selbstverständlich ist. Einerseits denke ich, dass diese Situation für die Politiker und Bürger eine Ungewissheit mit sich bringt, was die Ziele und die Richtung des europäischen Integrationsprozesses anbelangt. Andererseits erlaubt der aktuelle, flexible Integrationsprozess den Mitgliedstaaten und EU-Institutionen für jeden Politikbereich einzeln abzuwiegen, ob und zu welchem Grad eine Koordination oder gar Harmonisierung auf europäischer Ebene wünschenswert und sinnvoll ist. In der Antwort auf ihre zweite Frage werde ich auslegen, warum ich jedoch der Meinung bin, dass der europäische Integrationsprozess noch deutlich untermauert und weiter vorangetrieben werden muss.
So sehe ich auch im Angesicht der aktuellen Krisen einen verstärkten Integrationsprozess als den einzigen Weg nach vorne. In Zeiten knapper Haushalte können wir uns von der Verkehrsplanung, über die Forschung bis hin zur außenpolitischen Repräsentation schlichtweg nicht leisten, 27 nationalstaatliche Süppchen zu kochen und Anstrengungen parallel zu unternehmen. Künftig muss die politische Führungsebene der EU, müssen die Europaparlamentsabgeordneten, Vertreter der nationalen Regierungen und der EU Kommission, jedoch noch stärker mit den Bürgern und für die Bürger regieren. Die seit dem Vertrag von Lissabon existierende Bürgerinitiative ist ein Schritt in die richtige Richtung. Noch entscheidender ist jedoch, dass die Bürger Europas noch besser darüber informiert werden, welche Entscheidungen konkret auf der europäischen Ebene getroffen werden und wie sie von diesen Entscheidungen profitieren. Es muss auch stärker darauf Aufmerksam gemacht werden, wie transparent die Vorgänge auf EU-Ebene geworden sind - dass Entscheidungen vom Gesetzesentwurf bis zur Plenarabstimmung im Parlament mitverfolgt werden können und nahezu alle Sitzungen im Europäischen Parlament und viele Ratssitzungen auch im Internet übertragen werden.
Das oft durch die Medien heraufbeschworene Ende der EU, wenn der Euro fällt halte ich für gefährlich. Die gemeinsame Währung existiert seit 13 Jahren und es ist mein ausgesprochener Wunsch, dass der Euro die aktuelle Krise überwindet und gestärkt aus ihr hervorgeht. Sollte die gemeinsame Währung jedoch wackeln, bedeutet dies noch lange nicht, dass über 60 Jahre der wirtschaftlichen und politischen Integration damit zunichte wären. Der europäische Integrationsprozess ist ein Beweis dafür, dass Kooperation uns weiter bringt als Konfrontation und dass Solidarität zwischen den Völkern uns gemeinsam stärker macht als Konkurrenz. Es ist nicht umsonst, dass die EU von Südamerika bis Süd-Ost Asien vielen Weltregionen als Vorbild dient.
Ich kann Ihnen also mit Überzeugung sagen, dass es die EU auch noch morgen geben wird und dass die Errungenschaften aus sechs Jahrzehnten auch die aktuellen Krisen überdauern werden.
Ich wünsche viel Erfolg bei Ihrer Präsentation und hoffe Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Rodust