Frage an Ulrike Merten von Konstantin A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Merten,
ich würde gern wissen, wie Sie die Vorschläge des (derzeitigen) Innenministers Dr. Schäuble einschätzen.
Mir gibt zu denken, dass er, wie man seinen Äusserungen entnehmen kann, unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung einen Überwachungsstaat aufbauen will. Dass dabei das seit über 50 Jahren aus gutem Grund in seiner jetzigen Form existierende Grundgesetz geändert werden soll, um "Rechtsgrundlagen [zu] schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten." [Spiegel-Interview], ist meines Erachtens eine sehr fragwürdige Politik, die in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Terrorgefahr steht.
Zudem zeigt sich die von Herrn Dr. Schäuble vorgeschlagene Vorratsdatenspeicherung als krasser Gegensatz zu dem Telekommunikationsgeheimnis; dass er den Vorschlag des "Targeted Killing", also im Klartext die Ermordung von Verdächtigen durch den Staat, gemacht hat, lässt mich an seiner Person zweifeln. Ich bin kein Datenschützer, auch nicht politisch aktiv, aber diese Geschehnisse haben mich durchaus hellhörig gemacht.
Daher meine Frage: Inwiefern stehen Sie als Abgeordnete hinter der Politik des Bundesministers des Innern? Falls Sie sie nicht unterstützen, wie sieht Ihre als Abgeordnete vertretene Meinung zu Herrn Dr. Schäubles Vorschlägen aus?
Hochachtungsvoll,
Konstantin Asarowski
Sehr geehrter Herr Asarowski,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zur gesetzgeberischen Umsetzung der europäischen Richtlinie zur „Vorratsdatenspeicherung“. Gerne erläutere ich Ihnen meinen Standpunkt zu diesem Thema.
Die Einführung der so genannten Vorratsdatenspeicherung ist Bestandteil des Regierungsentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Sie verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten und damit auch Deutschland zur Einführung von Speicherungspflichten für bestimmte Telefon- und Internetdaten zu Zwecken der Terror- und Verbrechensbekämpfung für die Dauer von mindestens sechs und höchstens vierundzwanzig Monaten. Die EU-Richtlinie soll entsprechend den Vorgaben des Deutschen Bundestages nur mit der Mindestspeicherungsfrist von sechs Monaten umgesetzt werden. Diese Mindestfrist ist ein vom Bundestag unterstützter Verhandlungserfolg der Regierung auf EU-Ebene, denn dort waren ursprünglich längere Fristen vorgesehen. Nach dem Entwurf umfasst die Speicherpflicht für Telekommunikationsunternehmen im Wesentlichen die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen sowie bei der Mobilfunktelefonie die Standorte bei Beginn der Mobilfunkverbindung. Aus dem Bereich des Internets sind nur Daten über den Internetzugang sowie über E-Mail-Kommunikation und Internettelefonie erfasst. Die genannten Daten müssen auch dann gespeichert werden, wenn sie für die Gebührenabrechnung nicht mehr benötigt werden, das heißt auch Anbieter sogenannter Flatrates müssen die Daten speichern. Der Inhalt der Kommunikation und Daten, die Aufschluss über aufgerufene Internetseiten geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden. Mit dem Regierungsentwurf sollen auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität umgesetzt werden, um Computer- und Internetkriminalität noch wirksamer begegnen zu können. Eine verdeckte Onlinedurchsuchung wie sie derzeit in anderem Zusammenhang diskutiert wird, ist allerdings nicht Gegenstand der Regelung. Der Regierungsentwurf ist am 8. Juni vom Bundesrat beraten worden, der eine Stellungnahme dazu herausgegeben hat. Das Parlament hat den Regierungsentwurf am 6. Juli in erster Lesung im Bundestag debattiert und den Ausschüssen zur Beratung überwiesen. Der Rechtsausschuss hat beschlossen, den Entwurf im Rahmen der Ausschussberatungen im Herbst in einer öffentlichen Anhörung einer Sachverständigenbegutachtung auszusetzen. Gegenstand der Begutachtung wird auch der Vorschlag zur Regelung der von der EU vorgegebenen Datenspeicherpflicht. Seien Sie versichert, dass die SPD-Bundestagsfraktion in den parlamentarischen Beratungen unter Beachtung der Umsetzungsnotwendigkeiten der EU-Vorgaben sowohl ihre Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch ihre Verpflichtung für Bürgerrechte weiterhin ernst nehmen wird. Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position in aller Kürze angesichts des komplexen Themas näher bringen und Ihnen Ihre Frage beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Merten, MdB