Frage an Ulrike Merten von Jürgen T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Merten,
warum steht in Deutschland nicht das demokratische Instrument der Volksabstimmung bei wichtigen Entscheidungen zur Verfügung?
Die Volksabstimmung gehört m.E. zu den tragenden Säulen der Demokratie. Nicht nur mehrere EU-Staaten, sondern auch viele andere demokratische Staaten haben dies erkannt und beteiligen ihre Bürger nicht nur an Wahltagen an der politischen Willensbildung.
Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ist m.E. sicher kein unüberwindbares Hindernis. Jeder stimmberechtigte Politiker sollte sich vor seiner Stimmabgabe bewusst sein, ob er sich für oder gegen mehr Demokratie entscheidet.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Tews
Sehr geehrter Herr Tews,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zur Volksabstimmung resp. zusätzlichen Instrumenten direkter Demokratie. Gerne stelle ich dazu meine Sicht der Dinge dar.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit Beginn der Existenz unseres Landes Bestrebungen eine Volksgesetzgebung einzuführen. 1948 hat der Parlamentarische Rat die direkte Beteiligung der Bevölkerung in Form von Volksbegehren und Volksentscheiden abgelehnt und stattdessen wurde die repräsentative parlamentarische Demokratie eingeführt. 1976 scheiterte die größere Bürgerbeteiligung ein zweites Mal, als die dafür eingesetzte Enquete-Kommission dieses Ansinnen erneut ablehnte. Auch nach der Einheit Deutschlands, vor allem seitens der SPD-Bundestagsfraktion, brachte der Versuch Volksabstimmungen zu ermöglichen, keinen Erfolg. Verfassungsrechtlich besteht jedoch mit bestimmten Quoren und Quoten die Möglichkeit.
Seit nunmehr sechzig Jahren hat sich die parlamentarisch-repräsentative Demokratie bewährt und zumindest auf kommunaler und Landesebene ist die direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht worden.
Es gibt viele Bürgerbewegungen oder –initiativen auf kommunaler und in einigen Bundesländern auch auf Landesebene, die deutlich den Willen der Bevölkerung zeigen, sich aktiv für die Gesellschaft einzusetzen und sie mitzugestalten. Demokratie ist auf eine aktive, verantwortungsbewusste und vor allem interessierte Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen. Und dieses Verantwortungsbewusstsein sollte sich nicht auf einen Urnengang alle vier Jahre beschränken. Durch die Einführung von Volksabstimmungen ließe sich das Interesse an einer Mitgestaltung des Gemeinwohls steigern. Die Menschen gehen bewusster mit manchen Entscheidungen um und versuchen sich einzubringen. Und darin liegt eine große Chance, eine höhere Akzeptanz bei politischen Entscheidungen zu erreichen und Politikverdrossenheit abzubauen.
Aber ich muss auch einige Kritikpunkte anführen. Aus verschiedenen Gründen fehlende fachliche Kompetenz könnte dazu führen, dass nicht alle Beteiligten sachlich informiert sind und infolgedessen das Thema und dessen Folgen nicht überblicken können. Eine weitere Schwäche des Volksentscheids sehe ich darin, dass das Parlament sich bei unliebsamen Themen vor der eigenen Verantwortung drücken kann. Mitunter könnte auch eine mangelhafte Beteiligung der Wahlberechtigten ein Problem darstellen und es drängt sich der Gedanke auf, dass die bloße Auswahl zwischen Ja und Nein zu einfach gedacht ist, denn meistens wird bei Volksentscheiden die Frage bereits so gestellt, dass man sie beim ersten Lesen mit Ja beantwortet. Meiner Meinung nach, sprechen diese Argumente auf Bundesebene eher gegen die Einführung einer dreistufigen Volksbeteiligung am Gesetzgebungsverfahren.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD haben wir uns auf Drängen der SPD-Fraktion darauf verständigt, die Einführung von Elementen der direkten Demokratie zu prüfen, und die Koalition wird sich auch in dieser Frage der Verantwortung stellen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position in aller Kürze angesichts des komplexen Themas näher bringen und Ihnen Ihre Frage beantworten.
Viele Grüße nach Meckenheim sendet
Ulrike Merten, MdB