Frage an Ulrike Flach von Michael M. bezüglich Finanzen
Guten Tag,
wie ich sehe, haben Sie für den ESM gestimmt. Meine Frage ist, wie Sie und Ihre Volksvertreterkollegen damit umgehen, dass sich einzelne Länder immer besser stellen, als andere. Konkret: Finnland lässt sich (auch) die Bankenhilfe bar besichern (in Höhe von 40%, was dem Ausfallrisiko der Banken entspricht), was D und andere schlechter im Rang stehen läßt (subordiniert). Gibt es da nicht sowas wie einen negative pledge (wenn jemand anders besichert wird, steht mir eine gleichartige Besicherung zu) und wenn nicht, warum lassen wir uns das gefallen? Sind wir Deutschen zu naiv und lassen uns gerne übers Ohr hauen?
Zweite Frage: stört es Sie beim ESM nicht, dass D im schlimmsten Fall bis zu 700 Mrd. Euro einzahlen muss (nicht "nur" 190)? Wie Sie hoffentlich wissen, wird der Art. 8 Abs. 5 ESM durch folgende Rechtswirkung ausgehebelt:
Im Fall der unterlassenen Überweisung des nicht eingezahlten Kapitals anderer Länder werden die Zahlungsverpflichtungen der übrigen ESM Länder entsprechend erhöht (Art. 25.2). Zudem kann es teurer werden als 190 Mrd., weil sich die ESM-Mitglieder im Fall von Verlusten (also Ausfällen bei vergebenen Krediten an z.B. Griechenland oder spanische Banken) "unwiderruflich und uneingeschränkt" verpflichten, innerhalb von 7 Tagen Kapital nachzuschiessen (Art. 9.3), damit den Zahlungsverplichtungen an die Gläubiger des ESM nachgekommen werden kann. Letzteres könnte im Zweifel also sogar eine Haftung über die 700 Mrd. hinaus bedeuten: wenn also 700 Mrd. Kredite vergeben wurden, diese aber nicht bedient würden und der ESM trotzdem die 700 Mrd. an die Gläubiger des ESM zurückzahlen müsste (die 700 wurden also 2x ausgegeben).
Das ist leider nicht zweideutig, sondern hebelt die vermeintliche Limitierung auf 190 Mrd. (Zahlt ein ESM-Mitglied nicht, so müssen die anderen ESM-Mitglieder diese Zahlungen anteilig übernehmen. (Nachschusspflicht, lex specialis ggü. Art 8 Abs. 5!)) aus.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Mältzer,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Zu Ihrer 1. Frage: Einen sogenannten Finnland-Rabatt gibt es nicht im ESM-Vertrag. Diesen gibt es zwar in Form einer 40%igen Absicherung in Rahmen von EFSF Hilfsprogrammen, dies jedoch zu dem Preis, dass Finnland seinen Beitrag an der ESM-Bareinlage auf einen Schlag anstatt, wie vorgesehen, in Raten zahlen muss. Außerdem hat Finnland auf Gewinne aus der EFSF verzichten müssen. Diese Bedingungen waren im Übrigen derart unattraktiv, dass Finnland das einzige Land geblieben ist, welches auf diese Form der „Absicherung“ bisher zurückgegriffen hat.
Zu 2.: Die Haftung Deutschlands ist nach Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertrag „unter allen Umständen auf seinen Anteil (rd.190 Mrd. Euro) am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs beschränkt.“ Diese Vorschrift ist Lex Specialis und damit die Grenze aller Kapitalabrufmöglichkeiten. Dies ergibt sich auch aus dem Anhang 2 zum ESM-Vertrag. Jede Erweiterung bedarf einer Erhöhung des Stammkapitals selber. Eine Erhöhung des Stammkapitals bedarf nach Art. 10 ESM-Vertrag iVm Art. 2 Abs. 1 ESM-Ratifizierungsgesetz iVm § 4 Abs. 1 Nr. 2 ESM-FinG wiederum nicht nur eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages, sondern darüber hinaus auch einer gesetzlichen Änderung der Vorschrift in § 1 Abs. 1 ESM-FinG. Jede Erweiterung des deutschen Haftungsrahmens bedarf damit konstitutiv der Zustimmung und gesetzlichen Regelung des Deutschen Bundestages.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Flach