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Frage von Bernhard B. •

Frage an Ulrich Stockmann von Bernhard B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Der DGB Sachsen-Anhalt stellt die folgenden Fragen:
• Welchen Rang haben soziale Grundrechte gegenüber Marktfreiheiten?

• Würden Sie sich für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ einsetzen?

• Können Sie mit uns die Kritik an der Lissabon-Strategie teilen, in deren Folge die soziale Gerechtigkeit ab- und unsichere Beschäftigung zugenommen haben?

• Würden Sie sich für „Gute Arbeit“ und mehr Demokratie in der Wirtschaft einsetzen?

• Für wie notwendig halten Sie ein Gesamtkonzept zur Migrations-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik?

• Halten Sie vor dem Hintergrund der jüngsten Finanzmarktkrise einen neuen europäischen Ordnungsrahmen mit Regelungen zur Vorbeugung, Haftung, Mitbestimmung und Langfristorientierung für notwendig?

• Halten Sie zudem europäische Mindeststandards zum Arbeitnehmer-Datenschutz für wichtig?

(Bernhard Becker, DGB-Landesverband Sachsen-Anhalt)

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SPD

Sehr geehrter Herr Becker,

hiermit übersende ich Ihnen die Antworten zu Ihren Fragen:

Welchen Rang haben soziale Grundrechte gegenüber Marktfreiheiten?

Eine europäische Rechtsprechung, die wie zuletzt in den Fällen Laval, Viking und Rüffert die wirtschaftlichen Grundfreiheiten des Binnenmarktes einseitig zu Lasten der Rechte und des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer kollektiven Vertretungen in Europa betont, nehmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht tatenlos hin. Hier werden wir politisch entschieden gegensteuern. Um die Bedeutung sozialer Standards und Rechte hervorzuheben und alle europäischen Institutionen an sie zu binden, treten wir deshalb für eine soziale Fortschrittsklausel im EU-Primärrecht sowie für eine Verbesserung und Erweiterung der EU-Entsenderichtlinie ein.

Würden Sie sich für das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" einsetzen?

Im SPD-Europamanifest sowie im Entwurf des SPD-Regierungsprogramms fordern wir einen Europäischen Pakt gegen Lohndumping. Für diese Forderung möchte ich mich in der nächsten Legislaturperiode im Europäischen Parlament stark machen. Mit dem Europäischen Pakt für Löhne wollen wir einen Mechanismus festsetzten, der das Prinzip des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit garantiert und die Notwenigkeit angemessener Mindestlöhne gesetzlich oder tariflich vereinbart. Diese Forderung soll für alle Mitgliedstaaten und für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und natürlich auch für Migranten gelten.

Können Sie mit uns die Kritik an der Lissabon-Strategie teilen, in deren Folge die soziale Gerechtigkeit ab - und unsichere Beschäftigung zugenommen haben?

Die Lissabon-Strategie ist die wirtschafts- und sozialpolitische Agenda der Europäischen Union. Ihr Ziel ist, in der EU ein dauerhaftes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen zu fördern, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und dem Umweltschutz einen höheren Rang einzuräumen. Ich bin der Meinung, dass an den Zielen dieser Strategie festzuhalten ist. Die gegenwärtige Umsetzung der Lissabon-Strategie ist in meinen Augen jedoch nicht zufriedenstellend. Die Notwendigkeit größerer Investitionen in Bildung, Umwelt- und Energiepolitik in der EU liegt auf der Hand. Um eine erfolgreiche Umsetzung der Lissabonstrategie durchzusetzen ist eine koordinierte und effektivere Sozialpolitik auf Europäischer Ebene notwendig. Sozialpolitik darf kein bloßer Nebeneffekt der Wirtschaftspolitik sein. Wir brauchen innerhalb der Lissabonstrategie mehr Synergien zwischen sozialen und wirtschaftlichen Zielen. Ein intelligentes Wachstum ist kein Wachstum, das auf einem engen neo-liberalen Ansatz beruht, sondern eines das den Menschen und nicht den Markt in den Mittelpunkt der Politik rückt.

Würden Sie sich für "Gute Arbeit" und mehr Demokratie in der Wirtschaft einsetzen?

Die europäische und multinationale Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Unternehmensentscheidungen ist ein Schlüsselfaktor für die Zukunft. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für ein soziales Europa und bessere Arbeitsbedingungen. Ich möchte mich im Europäischen Parlament für eine bessere Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen einsetzen. Mitbestimmungsrechte müssen dazu in gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EU entlang des Modells der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) verankert werden. Zudem müssen die Rechte der Europäischen Betriebsräte ausgebaut werden. Damit mehr Demokratie und "Gute Arbeit" zu Leitprinzipien der europäischen Wirtschaft werden, möchte ich mich zudem dafür stark machen, dass der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften auf europäischer Ebene gestärkt und auf weitere Sektoren ausgeweitet wird.

Für wie notwendig halten Sie ein Gesamtkonzept zur Migrations-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik?

Migration ist eine der entscheidenden Herausforderungen, vor denen wir in den EU-Mitgliedstaaten stehen. Als Sozialdemokrat möchte ich mich für ein Gesamtkonzept zur Migrations- Zuwanderungs- und Integrationspolitik engagieren, das auf der Grundlage unserer Werte der Gerechtigkeit, Demokratie, der Menschenrechte und Solidarität fußt.

Um Integration sicherzustellen, illegale Zuwanderung, illegale Beschäftigung und Menschenhandel effektiv zu bekämpfen und auch, um bessere Lebensbedingungen in den ärmeren Ländern außerhalb Europas zu schaffen, brauchen wir wirkliche Reformen. Ich will daher die Arbeit an einer einheitlichen und kohärenten europäischen Einwanderungspolitik mit Nachdruck vorantreiben. In diesem Zusammenhang möchte ich mich dafür einsetzten, dass hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten von der EU deutlich attraktivere Angebote zu einer Arbeitsaufnahme in Europa unterbreitet werden. Gleichermaßen möchte ich mich dafür einsetzten, dass entwicklungspolitische und menschenrechtliche Aspekte sowie die Interessen der Herkunftsländer und der Migrantinnen und Migranten mehr Beachtung finden. Nur durch ein partnerschaftliches Miteinander der EU mit den Herkunftsländern werden wir eine Zuwanderungspolitik gestalten können, die beiden Seiten gerecht wird und Vorteile bietet.

Zudem möchte ich mich in der kommenden Legislaturperiode für eine Europäische Charta für Integration von Zuwanderern stark machen. Diese soll auf gleichen Rechten und Pflichten sowie auf gegenseitigem Respekt beruhen und mit den Regelungen der Einwanderungspolitik abgestimmt sein. Ich möchte mich für eine Integrationspolitik stark machen, die in einem fortlaufenden Prozess die staatsbürgerliche Integration und Repräsentation verbessert sowie die Rechte und Pflichten für alle Bürgerinnen und Bürger festlegt. Besondere Aufmerksamkeit möchte ich in diesem Zusammenhang der Integration von Frauen, Jugendlichen und der europäischen Roma widmen.

Um das positive Potenzial von Einwanderung zur Entfaltung zu bringen, sind verstärkte und besser koordinierte Anstrengungen der EU-Mitgliedstaaten in der Integrationspolitik unabdingbar. Für uns Sozialdemokraten hat die präventive Vermeidung der illegalen und irregulären Migration stets Vorrang vor Abschiebungsmaßnahmen. Unser Augenmerk gilt deshalb in besonderer Weise den tiefer liegenden Ursachen von Flucht und Migration wie Armut, Hunger, Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen in den Herkunftsländern. Bei der europäischen Rückführungspolitik achten wir darauf, dass auch für illegale Migranten die universellen Menschenrechte voll gelten und der Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union auf hohem Niveau gewährleistet ist.

Halten Sie vor dem Hintergrund der jüngsten Finanzmarktkrise einen neuen europäischen Ordnungsrahmen mit Regelungen zur Vorbeugung, Haftung, Mitbestimmung und Langfristorientierung für notwendig?

Die Gier der Finanzmarktjongleure hat die Finanzmarktkrise, in der wir uns befinden, nicht nur ausgelöst, sondern auch verschlimmert. Ich werde mich daher für eine nachhaltige Reform der Finanzmärkte einsetzten. Es muss strengere Kapitalauflagen und bessere Schutzmechanismen gegen faule Darlehen geben. Gehälter und Bonuszahlungen für Manager müssen ihre Grenzen haben. Sie müssen sowohl die Einkünfte als auch die Verluste der Unternehmen widerspiegeln. Zudem müssen Steuerflucht und Steuerbetrug besser verfolgt werden. Ich will in der kommende Legislaturperiode dafür kämpfen, dass Finanzinstitute alle Risiken in ihren Bilanzen eindeutig ausweisen müssen. Zudem, will ich mich dafür stark machen, dass Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds zukünftig effektiver reguliert werden.

Damit die Reform der Finanzmärkte im Dienste der Arbeitsplätze und zukünftigem Wachstum steht sind bessere Informationsrechte für die Bürgerinnen und Bürger essentiell. Ich will dafür kämpfen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfassend Auskunft erhalten, wenn eine Übernahme ihres Unternehmens droht. Sie sollen in den Entscheidungsprozess besser eingebunden werden. Aber auch Sparer, die beispielsweise in einen Rentenfond investiert haben, sollen wissen was mit ihrem Geld passiert.

Halten Sie zudem europäische Mindeststandards zum Arbeitnehmer-Datenschutz für wichtig?

Mindeststandards zum Arbeitnehmer-Datenschutz auf europäischer Ebene sind längst überfällig. Es kann nicht sein, dass eine Firma wie die Deutsche Bahn oder Lidl ihre Arbeitnehmer ausspioniert. Das Recht auf Schutz von personenbezogenen Daten ist ein Muss am Arbeitsplatz. Nur so kann ein vertrauensvolles und gutes Arbeitsklima geschaffen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Stockmann