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Frage von Dorothea H. •

Frage an Ulli Zedler von Dorothea H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

1. Wie Sie wissen wurde ein Volksbegehren für einen erweiterten Volksentscheid unter dem Namen "Volksentscheiud retten" gestartet. Würden Sie in der kommenden Legislaturperiode sich für eine Übernahme des Gesetzentwurfs in der jetzigen Fassung durch Abstimmung im Abgeordnetenhaus einsetzen?
2. Die Kompetenzen der Bezirke wurden in der Vergangenheit mehrmals durch eine Verlagerung der Entscheidung auf Landesebene außer Kraft gesetzt. Der Presse entnehme ich, dass Michael Müller diese Kompetenzverlagerung unter dem Motto "mehr Effizienz" noch vorwärtstreiben möchte. Damit werden die Möglichkeiten für direkte Demokratie z.B. in Form von Bürgerentscheiden massiv beschnitten. Zentralisierung statt Dezentralisierung ist Müllers Ziel. Würden Sie sich dagegen positionieren?

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Antwort von
PIRATEN

Sehr gehrte Frau H.,

lieben Dank für ihre beiden Fragen, die ich gerne beantworte.

Den „Volksentscheid zum Volksentscheid“ habe ich gerne, auch mit eigener und gesammelten Unterschriften unterstützt, denn die Regularien zur Volksgesetzgebung in Berlin kranken an 2 wesentlichen Mängeln:

a) die Quoren in der Schlussphase, also beim eigentlichen Volksentscheid, sind viel zu hoch. De facto müssen mindestens 25,000001% aller Abstimmungsberechtigten zustimmen, und diese dafür erforderliche Mobilisierung von de facto in etwa einer dreiviertel Millionen Menschen gelang bisher nur 2 Mal, bei den Wasserverträgen und dem Tempelhofer Feld. Diese Quoren müssen deutlich abgesenkt werden, hier ist (wer hätte das gedacht) Bayern vorbildlich, mit einem Zustimmungsquorum von lediglich 5%

b) Es ist rechtlich bisher vollkommen legal und möglich, dass das Abgeordnetenhaus unmittelbar nach einem Volksentscheid das Volksgesetz nimmt und beliebig ändert, im Extremfall sogar einfach wieder aufhebt.

Wenn beispielsweise 800.000 Berlinerinnen und Berliner etwas entschieden haben, könnten 80 Abgeordnete hergehen und sagen „nö, machen wir anders“, und es wäre legal.

Dass das keinesfalls eine nur theoretische, abwegige Option ist (schließlich wollen Abgeordnete ja auch wiedergewählt werden, und da legt man sich nicht so gerne mit der Mehrheit der Bevölkerung an) zeigt die SPD-CDU-Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2015. Der Volksentscheid Tempelhof war keine 1 ½ Jahre alt, da schlägt der SPD/CDU-Senat die ÄNDERUNG des Volksgesetzes vor. Von den Bürgern eindeutig, und zwar in allen Berliner Bezirken, abgelehnte Bebauung sollte auf Teilflächen wieder zugelassen werden. Die sehr fadenscheinige Begründung war „Wir müssen Flüchtlinge unterbringen!“. Trotz Nachweises, dass die Flächen in Tempelhof vollkommen ungeeignet für solche Massenunterbringung von Geflüchteten sind, eine leerstehende weiße Blumenhalle auf dem Flughafenvorfeld ist trauriger und teurer Zeuge dieser Tatsache, drückte die Große Koalition mit ihrer Mehrheit eine Änderung des Volksgesetzes durch! Aus 100% Tempelhof wurden 97,52% Tempelhof.

Im Fußball nennt man so etwas „Foulspiel“, und der Schiedsrichter pfeift ab. In der Politik gemäß unserer derzeitigen Verfassung, ist das zwar ein dicker Hund, aber 100% legal. Das Abgeordnetenhaus durfte, mit Stimmen von CDU und SPD, so entscheiden. PIRATEN haben selbstverständlich abgelehnt, aber wir sind dort leider nur eine kleine Minderheit.

Pfeifen und auch Mehrheiten abwählen können nur, alle 5 Jahre, Sie!

Mein Fazit: Um die Volksgesetzgebung wetterfester gegen solche „Angriffe“ aus dem politischen Raum zu machen ist die Volksinitiative sinnvoll und offenbar auch notwendig.
Wenn Sie mich ins Parlament wählen würden, könnte dieser Prozess allerdings auch abgekürzt werden: Ich würde, als Parlamentarier, einer Änderung der Volksgesetzgebung durch

a) Absenkungen der Quoren

b) Änderungserschwernis für Volksgesetze dergestalt, dass diese NUR mit Zustimmung der Bevölkerung geändert werden dürfen, mit gleichen Zustimmungsquoren

bereits vor einem Volksentscheid zustimmen, so dass die Millionenkosten für den eigentlichen Volksentscheid gespart werden könnten.

Damit würde ich, im Sinne der Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung, einen Teil meiner Machtbefugnisse als Abgeordneter abgeben. Dass es schwierig sein wird, im Parlament dafür Mehrheiten zu finden, sollten Sie allerdings wissen und berücksichtigen. Es liegt in der Natur der Dinge, nicht jeder gibt gern eigene Macht ab. Ich kann die Bevölkerung daher nur, unabhängig vom Wahlergebnis, weiterhin ermutigen, den „Volksentscheid zum Volksentscheid“ auch in den nächsten Stufen zu unterstützen! Meine Unterstützung haben Sie!

Nun, nach diesem wichtigen Thema, zu Ihrer zweiten Frage.

Meine Positionierung zum Verhältnis Hauptverwaltung <-> Bezirksverwaltung ist eindeutig: Die Bezirke müssen gestärkt werden, auch finanziell und personell, aber auch rechtlich.

Es kann nicht sein, dass im AZG (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz), ja so ein Wortungetümgesetz haben wir in Berlin, geregelt ist, dass der Senat beispielsweise alle Planverfahren an sich ziehen kann die „außergewöhnliche stadtpolitische Bedeutung“ haben. Da Berlin Land und Gemeinde zugleich ist, kann sich ein Bezirk noch nicht mal vor Gericht wehren, wenn ihm der Senat ein Verfahren aus der Hand schlägt, denn das wäre ein Streit verschiedener Verwaltungsgliederungen eines Landes. Ober schlägt Unter, da haben sich die Gerichte nicht einzumischen.

In der Praxis zeigt dieser Senat, dass er überall, wo in den Bezirken Bürgerwiderstand droht, Verfahren flugs an sich zieht. Ob Mauerpark, Mediaspree, Buckower Felder, ehem. Geisterstadt Lichterfelde-Süd, insbesondere bei Wohnungsbauprojekten, aber auch bei Hochhausprojekten am Alexanderplatz sind die Bezirke nur noch Staffage und ausführende Organe, ohne eigene Entscheidungskompetenz. Herr Müller möchte gerne geschmeidiger „durchregieren“ können. Er war vorher Bausenator, und kennt die Konflikte, wenn in einem Bezirk ein Bauprojekt nicht wie gewünscht vorankommt, weil die BVV diskutiert, die Bürger diskutieren, weil es Vorbehalte und Klärungsbedarf gibt.

Ich will aber in keiner Stadt leben in der ein Herr Müller durchregiert. Mir wurde schon mehrfach unwohl als ein Herr Wowereit durchregierte, sei es beim BER, bei der Staatsoper oder bei seinem Lieblingsprojekt ZLB, das ihm nur noch der Volksgesetzgeber aus der Hand schlagen konnte, mit dem Volksentscheid 100% THF. Unbeschadet dass Herr Müller persönlich ein netter Mann sein mag, darf man einfach nicht zu viel Macht auf der oberen politischen Ebene konzentrieren, sonst wird aus dem netten Herrn Müller sehr schnell ein „Ich will das jetzt so haben!“-Müller, und die negativen Folgen solcher Machtkonzentration kennen wir alle.

Ich möchte aber auch nicht der vollkommenen Autonomie der Bezirke das Wort reden, überbezirklich und mit dem Land muss vernünftig und partnerschaftlich zusammengearbeitet werden. Bezirke in Berlin, mit 250 bis 300-tausend Einwohnern Großstädten ähnlich, sollten all das in Eigenverantwortung abarbeiten dürfen was auch deutsche (kreisfreie) große Städte dürfen, bis zur Ebene der Landesmittelbehörden/Regierungsbezirke. Das Land Berlin sollte sich auf die Funktionen einer oberen Landesbehörde beschränken, und sich beispielsweise aus der Bauleitplanung bis auf Rechtsaufsicht, oberste Landesbehörde und Fachaufsicht sowie der Wahrnehmung der Aufgaben der Hauptstadtfunktion generell heraushalten.

Starke Bezirke können viel bürgernäher sein als eine Senatsverwaltung, die oftmals Dinge „von oben herab“ regelt und betrachtet, und Bürger in den Kiezen, die beispielsweise mit Bauprojekten nicht einverstanden sind, als „Störfall“ interpretiert, der zügig „zu überwinden“ ist.

Ich hoffe, Ihre 2 Fragen nicht nur beantwortet, sondern auch die dahinterliegenden Probleme vertieft erläutert zu haben, im Sinne alle Mitleser!

Es grüßt Sie freundlich

Ulli Zedler

P.S.: Denken Sie daran, Sie haben bei der Wahl 3 Stimmen. Die dritte ist die BVV-Stimme für den Bezirk. Stärken Sie auch dort Kräfte, die die Eigenständigkeit der Bezirke sichern helfen. PIRATEN haben auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine sehr starke Liste mit guten Leuten aufgestellt, und sind am 18.9. wählbar.