Frage an Ulla Jelpke von Lina S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Jelpke,
ich habe die Resolution des Bundestages zum 70. Jahrestag der Reichsprogromnacht und die Erklärung von 11 Abgeordneten der LINKEN (Sie sind darunter) gelesen. Bei allem Ärger über die parteipolitischen Spielchen der Unionsparteien vorher und einzelne pauschalisierende Formeln im Text, verstehe ich nicht, warum Sie nicht wenigstens drei Essentials zustimmen konnten und dies auch (durch Abstimmung oder Erklärung) verdeutlichten:
- Die Gründung des Staates Israel und die Verpflichtung seine Existenz zu verteidigen ist eine unmittelbare Folge der Shoa und damit für Bürger der BRD nicht verhandelbar.
- Antisemitismus in jedem Gewand ist zu ächten und Programme dagegen sind zu stärken.
- Das wieder auflebende, vielfältige jüdische Leben muß geschützt und auch finanziell unterstützt werden.
Mehr Botschaften konnte ich dem -glücklicherweise beschlossenen- Antrag nicht entnehmen und hoffe nun auch auf Taten.
Warum lehnen Sie diese uns so wichtigen Botschaften und daraus folgenden Taten ab? Das macht mich sehr mißtrauisch gegenüber der LINKEN.
Mit fragenden Grüßen
Lina Schmidt
Sehr geehrte Frau Schmidt,
ich stimme Ihnen völlig zu: Antisemitismus in jedem Gewand ist zu ächten und Programme dagegen sind zu stärken. Und das wieder auflegende, vielfältige jüdische Leben in der Bundesrepublik muss geschützt und auch finanziell unterstützt werden.
Die Resolution des Bundestages versuchte allerdings, auch diejenigen als antisemitisch zu diskreditieren, die Kritik an der Kriegspolitik von Nato, USA und Israel äußern. Unter dem Deckmantel der Antisemitismus-Bekämpfung sollen damit wesentliche außen- und innenpolitische Ziele der Bundesregierung legitimiert werden. Die deklaratorische Feststellung, die Solidarität mit Israel entspreche der deutschen Staatsräson, soll nicht nur das Existenzrecht Israels bestätigen, sondern sie dient vielmehr dazu, jegliche Kritik an der israelischen Politik für illegitim zu erklären. Der Antrag suggeriert: Wer für sich das Recht in Anspruch nimmt, den sogenannten Krieg gegen Terror abzulehnen oder die israelische Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung zu kritisieren, stelle sich außerhalb der demokratischen Gemeinschaft.
Solange die Besetzung der Westbank und die Blockade von Gaza anhält, solange sich Israel explizit als "jüdischer Staat" definiert und damit mindestens 18% seiner Bevölkerung als Nichtjuden (muslimische, christliche, atheistische Araber) ausgegrenzt und regelrechte Apartheidstrukturen bestehen, fällt es mir schwer, den Staat Israel in seiner heutigen Form zu verteidigen. Die Lehre aus der Shoa ist für mich vielmehr das Eintreten gegen jede Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und antimuslimischer Hetze in Deutschland. Nur so kann den hier lebenden Jüdinnen und Juden ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden, so dass sie Deutschland und nicht Israel als ihre Heimat ansehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulla Jelpke