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Frage von Benjamin R. •

Frage an Ulla Jelpke von Benjamin R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Jelpke

bitte beantworten Sie mir und den interessierten Mitlesern auf abgeordnetenwatch.de doch folgende Fragen:

1. Kann man Ihrer Meinung nach sagen, dass mit dem Einmarsch der russischen Truppe in Georgien im August diesen Jahres nun das Recht, ein anderes Land anzugreifen, um dort eine Bevölkerungsgruppe zu schützen, gewohnheitsrechtlich anzunehmen ist. Russland bezog sich ja ausdrücklich auf die NATO-Angriffe aus Serbien 1999. Oder lehnen Sie dieses Recht ab und verurteilen dementsprechend die russische Militäraktion ebenso scharf wie den Kosovo-Krieg 1999?

2. Welche Gründe kann es Ihrer Meinung nach für den legitimen Einsatz von Militär geben? Sollten z.B. Völkermorde in Afrika durch den Einsatz der Bundeswehr verhindert werden?

3. Darf man Ihrer Meinung nach Kulturen, die kaum individuelle Freiheit kennen, keinen Gleichheitsgrundsatz und in denen drastische Strafen für Meinungsäußerungen und geringfügige Straftaten verhängt und vollstreckt werden, wie sie im Nahen Osten und in Zentralasien anzutreffen sind, als zivilisatorisch rückständig bezeichnen?

Mit freundlichen Grüßen,

Benjamin Rösch

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rösch,

1. Ein Gewohnheitsrecht zum Einmarsch einer Großmacht in ein anderes Land zum Schutze einer dortigen Bevölkerungsgruppe kann es unter keinen Umständen geben. Der russische Angriff auf Georgien wurde allerdings durch die abenteuerliche Politik des georgischen Präsident Saakaschwili mit der Erstürmung und Beschießung von Zchinwali und der in Südossetien stationierten russischen Friedenstruppe provoziert. Die Reaktion der NATO-Staaten ist in meinen Augen heuchlerisch. Tatsächlich maßte sich die NATO im Kosovo ein Eingreifen an, ohne dass etwa serbische Einheiten NATO-Truppen angegriffen hätten. Zudem haben die USA durch ihre Hochrüstung Georgiens und die Ermutigung Saakaschwilis zu seinem Angriff sowie durch die Ankündigung, Georgien in die NATO zu holen, entscheidenden Anteil am Krieg im Kaukasus.

2. Eine der Hauptursachen für Völkermorde in Afrika und anderswo ist der westliche Kolonialismus und Neokolonialismus. Durch die Kolonialmächte wurden Grenzen zwischen Völkern und Stämmen künstlich gezogen und Minderheitsfragen vielfach erst geschaffen. Heute geht es auch bei den meisten Auseinandersetzungen in Afrika, im Nahen Osten und Zentralasien vorrangig um den Zugriff zu lebensnotwendigen Ressourcen und die Verteilung von Rohstoffen wie Öl. Ethnische Gegensätze werden von außen, von den ehemaligen Kolonialmächten, künstlich geschürt und soziale Konflikte ethnisiert, um Gründe für Interventionen zu schaffen. So sollen Rotstoffvorkommen oder Handels- und Transportwege unter die Kontrolle der Großmächte gebracht werden. Militäreinsätze westlicher Truppen in Afrika oder dem Nahen Osten zum Schutze von Minderheiten lehne ich grundsätzlich ab, denn dies hieße, den Bock zum Gärtner zu machen. Legitim ist natürlich der Einsatz von Militär zur Verteidigung eines vom Imperialismus überfallenen Landes. Sollten die USA doch noch den Iran angreifen, hat dieser selbstverständlich das Recht, sich militärisch zur Wehr zu setzen.

3. Eine solche Bezeichnung halte ich für falsch. Wie beispielsweise die USA mit dem Gefangenenlager Guantanamo, der Folter in Abu Ghraib oder der willkürlichen Tötung von Zivilisten im Irak, Afghanistan und mittlerweile auch in Pakistan beweisen, sind die von Ihnen geschilderten Verstöße gegen Bürger- und Menschenrechte keineswegs eine alleinige Angelegenheit von Ländern des Nahen Ostens oder Zentralasiens. Vielmehr kommen solche barbarischen Akte auch auf höchstem zivilisatorischem Niveau vor. Dies bewies nicht zuletzt der deutsche Faschismus mit seinem industriell-bürokratisch betriebenen Massenmord an den europäischen Juden und Sinti und Roma.
Bürger- und Menschenrechte müssen weltweit erkämpft werden. Es ist aber in meinen Augen eine zutiefst rassistische und kolonialistische Denkweise, zu glauben, der westlichen Welt käme aufgrund einer scheinbaren zivilisatorischen Überlegenheit das Recht zu, weltweit ihre Interessen und Werte durchzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ulla Jelpke