Frage an Ulla Jelpke von Hans S. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Jelpke,
Sie sind Mitglied des Ausschusses für Inneres. Im Hinblick auf die derzeit sehr diskutierten Taten von kriminellen Jugendlichen in U-Bahnen gestatte ich mir die Frage, was Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages zu tun gedenken, damit die Spirale der Gewalt und Gegengewalt (Bürgerwehr) unterbrochen wird. Halten Sie es immerhin für möglich, dass der Staat, den wir uns selbst geschaffen haben und in dem wir in freien, geheimen und direkten Wahlen die Gewalt als Gewaltmonopol an die Legislative deligiert haben ... die Aufgabe hat jeden Bürger an jedem beliebigen Ort vor Gewalt gegen seine körperliche Unversehrheit zu schützen ? Wie gedenken Sie das zu gewährleisten ? Für Ihre Antwort vorab besten Dank
Hans Stein
Sehr geehrter Herr Stein,
im folgenden sende ich Ihnen eine Stellungnahme zum gefragten Thema.
Fakten gegen Stammtischparolen
Kriminologen widersprechen den Rufen nach härteren Strafen. Von Ulla Jelpke
Mit Hetze gegen Migranten will Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die drohende Niederlage bei der Landtagswahl am 27. Januar abwenden. Dabei schreckt er auch vor plattesten Stammtischparolen nicht zurück: Gefängnishaft, so verkündete er, sei heute ein »Kuschelvollzug, den SPD, Grüne und Linke wollen«. In einem Sechs-Punkte-Plan fordert er darüber hinaus die »schnellere Abschiebung von Ausländern« - und das, obwohl die Ausweisungsbestimmungen ohnehin erst im Herbst 2007 bei der Änderung des Aufenthaltsgesetzes verschärft worden sind.
Der hessische Regierungschef verlangte außerdem die Einführung eines »Warnschußarrestes«, damit jugendliche Straftäter frühzeitig zuspüren bekämen, »wie sich Gefängnis von innen anfühlt«. Für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren müsse die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zum Regelfall werden. Bisher obliegt den Gerichten die Prüfung in jedem Einzelfall, ob wegen »Reifeverzögerungen« auch in dieser Altersstufe noch nach Jugendstrafrecht zu urteilen ist. Die Höchststrafe für Jugendliche will Koch von 10 auf 15 Jahre erhöhen.
Unterstützung erhält Koch vom stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, und vom parteilosen Hamburger Innensenator Udo Nagel, die »Erziehungscamps« für Jugendliche fordern. Diese Forderung ist jedoch für den Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Hans-Jörg Albrecht »vollkommen abwegig«. Albrecht stellte weiter fest: »Alle Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, sind alte Kamellen«. Auch der Hamburger Kriminologie-Professor Fritz Sack erteilte den Law-and-Order-Parolen der Union eine klare Absage: »Wegsperren ist kontraproduktiv. Wegsperren ist keine Lösung«. Das zeige die langjährige kriminologische Erfahrung.
Der Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, widersprach ebenfalls den Scharfmachern aus der Union. In einem Fernsehinterview berichtete der am Mittwoch, daß in den USA die Rückfallquote von Insassen der »Boot-Camps« höher sei alsbei Straftätern, die zu Bewährungsstrafen verurteiltet worden sind. »Die Amerikaner sind deswegen zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die hohen Ausgaben für diese Art von Erziehung nicht lohnen«, betonte Pfeiffer.
Entgegen der von der CDU/CSU betriebenen Stimmungsmache ist die Kriminalität von Jugendlichen in den letzten zehn Jahren zurückgegangen. Die Zahl der Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag reduzierte sich um 30 Prozent, bei Raub weist die Statistik 20 Prozent weniger Taten auf. Pfeiffer räumte ein, daß es bei Körperverletzungen einen leichten Anstieg gegeben habe, insbesondere bei Tätern türkischer Herkunft. Das könne aber auch darauf zurückzuführen sein, daß die Opfer häufiger als früher Anzeige erstatteten. Entscheidend ist aber laut Pfeiffer, daß überall dort, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund schulisch gut integriert sind, die Kriminalität deutlich zurückgeht. Sein Fazit: »Wir müssen mehr in Schulen statt in Gefängnisse investieren«. Die Politik müsse etwas gegen die hohe Quote der Schulabbrecher bei jungen Ausländern zu tun, die bei 22 Prozent liege.
Ein schärferes Jugendstrafrecht war im Herbst 2005 bereits Gegenstand der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD. Damals einigten sich die Koalitionspartner auf die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) liegt mittlerweile vor. Diese Gesetzesverschärfung zeigt, daß CDU/CSU und SPD offenbar nicht willens sind, Statistiken und Expertenmeinungen ernst zu nehmen. Sie hängen immer noch dem Irrglauben an, soziale Probleme durch das Strafrecht lösen zu können.
Ulla Jelpke, MdB