Frage an Ulla Jelpke von Stephan M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Jelpke,
laut Eurostat wurden in Deutschland 2018 184.235 Erst- und Folgeanträge auf Asyl gestellt. An zweiter Stelle folgt Spanien mit 54060 Anträgen.
Wieso ist angesichts solcher Zahlen davon die Rede, dass man mehr Solidarität mit den Ländern der EU-Außengrenze haben müsse? Auch wenn es humane Gründe hat, was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass der Weg Deutschlands in der Asylfrage als nationaler Alleingang erscheint?
Was nährt Ihre Hoffnung, dass es uns gelingen wird, mittelfristig eine Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik (gemeinsam, solidarisch) zu erreichen, die auch Ihren persönlichen Ansprüchen genügt, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die anderen EU-Mitgliedsstaaten in der Mehrheit kaum die Standards, die Deutschland garantiert, übernehmen werden? Wird Deutschland für eine gemeinsame EU-Asylpolitik seine garantierten Rechte zurückfahren?
Mit freundlichen Grüßen
S. M.
Sehr geehrter Herr M.,
zunächst möchte ich mich für Ihre Frage bedanken. Sie geben mir damit die Gelegenheit zu einem leider stark verbreiteten Mythos Stellung zu beziehen.
Wenn wir die Situation in Europa in absoluten Zahlen betrachten, dann haben Sie mit ihrer Behauptung Recht, in Deutschland befänden sich die meisten Schutzsuchenden. Allerdings ist die bloße Betrachtung der absoluten Zahlen verzerrend und irreführend, da weder Faktoren wie die Größe der Bevölkerung oder die ökonomische Leistungsfähigkeit eines EU-Mitgliedsstaats einbezogen werden.
Bezieht man die Einwohnerzahl der Länder ein, so liegt Deutschland weit abgeschlagen hinter Schweden und auch hinter Österreich. Die Rechnung dürfte nochmals anders ausfallen, wenn man die wirtschaftliche Stärke bzw. treffender: die wirtschaftliche Schwäche des von Schäubles Spardiktat wirtschaftlich zerstörten Griechenlands oder auch Italiens betrachtet.
Mehr (finanzielle) Solidarität mit den Ländern an der Außengrenze der EU und darüber hinaus ist dringend geboten. Zudem müssen legale Fluchtmöglichkeiten geschaffen und ein Free-Choice-Modell realisiert werden, das es Schutzsuchenden ermöglicht, entsprechend ihrer familiären Bindungen und ihrer Sprachkenntnisse das EU-Land zu wählen, in dem sie Asyl beantragen möchten. „Europäische Solidarität“ würde dann bedeuten, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten entsprechend ihrer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Versorgung der Schutzsuchenden beteiligen, wobei besonders häufig gewählte Aufnahmestaaten entsprechend höhere Zuwendungen erhalten müssten.
Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie der Ansicht, dass Deutschland in einem „nationalen Alleingang“ eine liberale Flüchtlingspolitik betreibe. Dem ist bedauerlicherweise nicht so. Nicht nur im Inland, sondern auch auf EU-Ebene und darüber hinaus werden unter deutscher Federführung die Rechte von Schutzsuchenden massiv demontiert. Der schmutzige EU-Türkei-Deal mit dem Diktator Erdogan, das menschenfeindliche System der sogenannten „Hotspots“, die Pläne für exterritoriale Lager in Bürgerkriegsländern wie Libyen und die Zusammenarbeit mit kriminellen Banden wie den Dschihadisten der libyschen Küstenwache gegen Flüchtlinge sind nur einige wenige Beispiele.
Auch wenn der Kampf um eine Veränderung dieser Haltung angesichts des Rechtsrucks der EU als schwer erscheinen mag, so ist doch die Verteidigung der Menschenrechte für mich nicht verhandelbar.
Mit freundlichen Grüßen
Ulla Jelpke