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Frage von Marvin M. •

Frage an Ulla Jelpke von Marvin M. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrte Frau Jelpke,

ich sah heute auf Youtube ihre Rede vom 1.9. im Bundestag bezüglich der Waffenlieferungen an die irakischen Kurden.

In der Meinung, keine Waffen zu liefern, stimme ich mit Ihnen überein. Jedoch hat ihre Rede Fragen aufgeworfen:

Sie sagen; nicht etwa "die Luftanschläge der USA" hätten Yesiden gerettet, sondern der Fluchtkorridor der PKK.
Natürlich stimmt es, dass die PKK viel größere Arbeit geleistet hat, als die USA. Trotzdem: Sind solche Luftschläge der USA gegen Stützpunkte der IS nicht trotzdem förderlich?

Sie stellen später die Frage auf; "warum es die Peschmerga Kurden und Erbil sein soll" und beantworten dies mit der These "es geht ums Öl".
Hier ist dann der erste Punkt, bei dem ich Ihnen widersprechen würde: Ist es nicht so, dass die PKK einen souveränen Kurdenstaat auf dem Gebiet der Türkei, Syriens und des Iraks schaffen möchte und die Demokratische Partei Kurdistans respektive Barzani sich mit ihrer Autonomen Region innerhalb des Iraks begnügen? Deshalb geht man davon aus, dass die PKK nach dem Ende des Konflikts eben diese (unsere) Waffen auch gegen die Türkei, Syrien und den Irak einsetzten würde, die Peschmerga dies aber nicht tun würden.

Warum unterscheiden Sie zwischen "der IS" und "den Dschihadisten"?

In wie weit ist es unsere Pflicht anders als durch Waffenlieferungen einzugreifen respektive was kann man da tun? - Dies kam mir in Ihrer Rede zu kurz. Sanktionen gegen Kuwait, Saudi Arabien (und die Türkei), dass Finanzierungen/Unterstützungen der IS unterlassen werden müssen? Luftschläge mehrerer Länder?

Warum ist in so einer Ausnahme Situation kein Eingriff der Bundeswehr richtig? (ggf. mit UNO Mandat) ..müsste man hier nicht mehr zum Schutze tun?

Liebe Grüße,
Marvin

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Müller,

Ich halte US-Luftangriffe nicht für sinnvoll und förderlich im Kampf gegen den IS. Bereits die Erfahrung aus Afghanistan und dem pakistanischen Grenzgebiet zeigt, dass sich die in Städten und Dörfern unter der Zivilbevölkerung verschanzten Jihadisten aus der Luft nicht erfolgreich bekämpfen lassen und Luftangriffe vor allem zivile Opfer kosten.
Wie die PKK-Guerilla jetzt meldete, wurden ihre Stellungen in den Bergen von Sengal, in denen sie zum Schutz der Jesiden stationiert sind, als angebliche Stützpunkte des IS an die USA weitergegeben. Damit drohen solche Luftangriffe sogar diejenigen zu treffen, die selbst gegen den IS kämpfen.
Vergessen wir zudem nicht, dass die USA mit ihrem Krieg gegen den Irak, der Zerstörung des irakischen Staatsapparates und der Stützung der sunnitenfeindlichen Maliki-Regierung einerseits und der Aufrüstung der syrischen Opposition einschließlich djihadistischer Formationen eine entscheidende Mitverantwortung an der jetzigen Situation mit dem Vormarsch des IS zukommt. Nicht ein weiteres Engagement der USA im Irak, sondern vielmehr ihr völliger Rückzug aus der Region können dazu beitragen, dass dort endlich Ruhe und Frieden einkehrt.
Ein ausländisches Eingreifen halte nicht nur ich für falsch. Es wird auch von zentralen Akteuren auf kurdischer Seite wie der PKK und der Selbstverwaltung in Rojava (Nordsyrien) strikt abgelehnt. Von dieser Seite heißt es, dass die Kurden durchaus in der Lage sind, sich selber zu schützen und zu verteidigen und den IS wieder zu vertreiben. Ein ausländisches Eingreifen zielt dagegen darauf, die rohstoffreiche Region wieder langfristig zu unterwerfen und die Kurden vom Ausland abhängig zu machen. Auch die Hilfe der USA und BRD für Barzani wird letztlich von dessen Wohlverhalten im Sinne des Westens abhängig gemacht.
Statt Waffen und Truppen zu schicken, sollte die Bundesregierung sich für eine Streichung der PKK von der Terrorliste einsetzen und eine Aufhebung des PKK-Verbots in die Wege leiten. Damit würde die Rolle der PKK und ihrer Bündnispartner im syrischen Teil Kurdistans beim Kampf gegen den IS und der Rettung von Flüchtlingen gewürdigt und die PKK hätte die Möglichkeit, sich selber die für die Verteidigung gegen die Jihadisten notwendigen Mittel zu besorgen.
Weiterhin sollte sich die Bundesregierung auf diplomatischem Wege für ein Ende des von der Türkei gegen das kurdische Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Syrien verhängten Embargos einsetzen und ihre humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Syrien massiv aufstocken. Aufgrund dieses Embargos mangelt es in Rojava etwa an Medikamenten, technischen Geräten wie Generatoren und einer ausreichenden Versorgung der vielen Zehntausend aus dem Nordirak in diese Region geflohenen Flüchtlinge. Zudem müsste die Bundesregierung endlich Druck auf die türkische Regierung ausüben, damit diese ihre Grenzen für die IS-Jihadisten schließt und ihnen keine Infrastruktur wie Krankenhäuser und Trainingsgelände mehr zur Verfügung stellt.
Was die von Ihnen genannten Ziele der PKK einerseits und von Barzani andererseits angeht, so verhält es sich genau umgekehrt. Barzani hat im Juni - nach der Einnahme der Erdölstadt Kerkuk durch seine Peschmerga - die baldige Abhaltung eines Referendums über einen vom Irak unabhängigen kurdischen Nationalstaat angekündigt. Sein Wunsch nach westlichen Waffenlieferungen leitet sich wohl auch von diesem Ziel ab und nicht nur von der Bekämpfung des IS.
Dagegen hat die PKK bereits vor über 20 Jahren vom Ziel eines unabhängigen Kurdistans Abstand genommen. Heute treten die PKK und ihre Schwesterparteien in Syrien, dem Irak und Iran für Autonomierechte innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen sowie gleichzeitig die Demokratisierung dieser Staaten ein. Nationalstaatliche Lösungen werden von der PKK als primitiv-nationalistisch und dem Bevölkerungsmosaik des Nahen Ostens nicht angemessen abgelehnt und im Gegenteil für ein Großteil der Probleme der Region verantwortlich gemacht. In der Türkei tritt die PKK heute für eine neue Verfassung ein, die nicht mehr einseitig das Türkentum betont sondern der ethnisch-religiösen Vielfalt des Landes gerecht wird. Weiterhin schlagen die PKK und die legale prokurdische Demokratische Partei der Völker eine Dezentralisierung des Landes durch die Schaffung autonomer Provinzen und eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vor. Auch hier wird eine Veränderung der Grenzen strikt abgelehnt.
Mit Waffenlieferungen an die Peschmerga von Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans stärkt die Bundesregierung also genau diejenige Partei, die für eine Loslösung der kurdischen Provinzen vom Irak eintritt. Angesichts der Vergangenheit der Peschmerga, die Parteiarmeen der zwei zentralen kurdischen Regierungsparteien sind, sehe ich zudem die Gefahr, dass solche Waffen zukünftig bei der Niederschlagung sozialer Proteste oder in innerkurdischen Bruderkriegen zum Einsatz kommen. So erschossen Peschmerga bei Protesten gegen Korruption und Vetternwirtschaft in der Region Kurdistan-Irak im Jahr 2012 mehrere Demonstranten. Deutsche Waffen - darunter vor allem Sturmgewehre und Pistolen - dienen hier zur Aufrüstung autoritärer Ordnungskräfte, die zwar jede innere Opposition unterdrücken aber im Kampf gegen den IS in der Jesiden-Region Sengal mit ihrem kampflosen Rückzug versagt haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Ulla Jelpke