Frage an Ulla Jelpke von Hein M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo, Frau Jelpke,
ich danke Ihnen für die fixe Antwort vom 21. Juli.
Weil mir einmalig Nachfragen auf die Antworten hier bei abgeordnetenwatch erlaubt sind, bitte ich Sie noch einmal, mir meine Fragen zu beantworten! Um die Nachvollziebarkeit zu erleichtern, will ich nun auch konkrete Beispiele, an die sich die Fragen knüpfen, formulieren.
1.
Stellen Sie sich vor, es war Fußball-WM und in Berlin-Neukölln hing an einem Haus eine die gesamte Hausfassade überdeckende Deutschlandfahne. Alle Bewohner im Haus beführworteten das. Auch die Bewohner, die in unmittelbarer Nähe und mit Sichtmöglichkeit auf die Fahne wohnen, befürworteten das. Die überregionale Presse berichtete. Eigentümer der Fahne sind/waren Bürgerinnen und Bürger mit Mitgrationshintergrund. Wiederholt jedoch schlichen sich in der Nacht Nazis vor eben dieses Haus, rissen die Fahne ab und entkamen. Im Internet fand man später vermummte Nazis, die stolz ihr Diebesgut präsentierten.
Frau Jelpke, wären Sie gegen diese wiederholten Übergriffe durch Nazis auf die Straße gegangen und hätten protestiert?
2.
Am 12. Juni 2010 wurden während einer Demonstration auf der Torstraße in Berlin Polizisten mit Sprengsätzen attackiert. 15 Polizisten wurden verletzt. Zwei von ihnen mussten wegen schwerer Brand- und Fleischwunden notoperiert werden. Sie werden physische und psychische Schäden behalten. Wer dabei war - ich war es (!) -, der konnte sehen, dass die Sprengsätze aus einer Gruppe von linken Chaoten geworfen worden war. Auf YouTube ist das nachzuverfolgen. Frau Jelpke, würden Sie meine Ansicht teilen, dass hier Gefahr für Leib und Leben für viele Menschen ausgegangen ist? Wenn ja, worin liegt der Unterschied zu Nazi-Gewalt, den Sie in Ihrer ersten Antwort vom 21.07. gemacht haben? Oder ging es hierbei lediglich darum, demokratische Handlungsspielräume auzuweiten?
Für Ihre Antworten auf diese Fragen wäre ich Ihnen dankbar! DAS interessiert mich, alles andere nicht.
Mit freundlichen Grüßen, H. Muck
Sehr geehrter Herr Muck,
zu Ihrer ersten Frage:
Wenn, wenn, wenn…. Die von Ihnen geschilderte Situation ist für mich nicht nachvollziehbar. Neonazis zeichnen sich eben gerade dadurch aus, dass sie aus purem Rassismus Migranten angreifen – und nicht dadurch, dass sie Deutschlandfahnen klauen.
Im konkreten Fall aus Neukölln dagegen wurde ungeachtet möglicher Migrationshintergründe der Fahnenschwenker ein Kleinkrieg um nationale Symbole geführt. Mir ist im konkreten Fall allerdings nicht bekannt, dass es zu Gewalt oder Drohungen gegenüber den Hausbewohnern gekommen ist. Auch war das Motiv der Fahnenklauer ganz offensichtlich nicht Ausländerhass und ihr Ziel nicht die Einschüchterung oder gar Vertreibung der Hausbewohner, sondern richtete sich gegen den übertriebenen Nationalismus während der WM.
Nur in dem Sie dies ausblenden, können Sie den schiefen Vergleich zwischen Nazis und den mir nicht bekannten, sich aber offensichtlich antinational positionierenden Fahnenklauern aus Neukölln ziehen.
Zu ihrer zweiten Frage:
Bezüglich des Vorfalls auf der Anti-Krisendemonstration würde ich nicht von Sprengsätzen sprechen. Das weckt einfach falsche Assoziationen. Hier flogen nicht – wie von der Presse und manchen Innenpolitikern zuerst in unverantwortlicher Weise behauptet – „Splitterbomben“ oder „Granaten“, sondern offensichtlich so genannte „Polenböller“, wie sie auch während der WM massiv geworfen wurden, ohne dass Kommentatoren gleich den Bürgerkrieg witterten. In einem Kommentar für die Tageszeitung junge Welt hatte ich zu dem Vorfall geschrieben: „Um es deutlich zu sagen: Auch der Einsatz starker Böller, die nicht nur Polizisten verletzten, sondern auch Demonstranten gefährdeten, ist durch nichts zu rechtfertigen.“ Dieser Meinung bin ich weiterhin. Ich sehe aber dennoch zwischen diesem Böllerwurf – dessen Urheber bis heute nicht feststeht und über dessen möglicherweise linke Gesinnung ich daher auch nichts sagen kann auf gepanzerte Polizisten einerseits und Mordanschlägen von Neonazis auf unbeteiligte Migranten andererseits einen gewaltigen Unterschied. Im Übrigen wurde der antikapitalistische Block bereits vor den Böllerwürfen von Polizeibeamten grundlos erheblich bedrängt. Hier wurde mit Sicherheit unnötig provoziert.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulla Jelpke