Frage an Uli Grötsch von Andreas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Grötsch,
ich freue mich, dass Ihre Partei und auch die gesamte Bundesregierung sich offen gegenüber Flüchtlingen zeigt. Deutschland hat selbst Krieg und Vertreibung erlebt, sodass es nur eine logische Folge ist, dass es heute selbst anderen Menschen in Not hilft.
Viele Menschen haben in diesem Zusammenhang jedoch auch Sorgen. Viele sind unberechtigt, doch einige sind sicher auch berechtigt. Deutschland und Europa haben sich seit Voltaire massiv von einer hierarchisch-religiösen Gesellschaft hin zu einer demokratisch-humanistischen Gesellschaft verändert. Das Grundverständnis wurde nach dem Krieg durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die Frauen-, Homosexuellen, und Umweltbewegungen weiter geschärft. Ist dieses Grundverständnis, das die Grundwerte unserer Gesellschaft ausmacht, in Gefahr, wenn wieder mehr religiöse Menschen aus Kulturen einwandern, die eine Aufklärung bislang nicht erlebt haben? Das ist vielleicht übertrieben, aber wenn Jungen aufgrund der religiösen Überzeugung der Eltern heute noch beschnitten werden, Mädchen nicht zum Schwimmunterricht gehen dürfen oder zwangsverheiratet werden, oder als "Schlampen" bezeichnet werden, wenn sie sich sexuell ausprobieren wollen, dann passt das sicher nicht zu diesem liberalen Grundverständnis das wir in Europa fast alle teilen.
Meine Frage daher: Gibt es Pläne in der Bundesregierung, jedem Asylbewerber eine Art Crashkurs zu geben, in dem vermittelt wird, was unsere Grundwerte sind? Dass etwa ein schwules Paar in Europa etwas ganz Normales ist und mit Argumenten der Aufklärung auch erklärt wird wieso? Dass die Trennung von Religion und Staat etwas Gutes ist? Ich bin mir recht sicher, dass ein solches Programm einen grossen Beitrag zur Integration leisten könnte.
Mit freundlichen Gruessen
Andreas Reichhardt
Sehr geehrter Herr Reichhardt,
ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift und möchte gleich zu Beginn sagen, dass ich Ihre Sichtweise teile.
Ich bin in meinem Wahlkreis beinahe täglich in Flüchtlingsunterkünften unterwegs und stehe mit den ehrenamtlichen Helfern und den zu uns Geflüchteten regelmäßig im Austausch. Ich weiß, dass es viel Unsicherheit in der Bevölkerung gibt, bin aber der festen Überzeugung, dass wir auch diese „Krise“ bewältigen können.
Die Verabschiedung des Flüchtlingspakets durch den Deutschen Bundestag am 15. Oktober 2015 war dahingehend sicherlich ein erster großer Schritt in die richtige Richtung! Damit die Integration derjenigen, die hier bleiben werden, gelingt, steigern wir die Finanzmittel für die Sprachkurse: Einerseits erhöhen wir die Zahl der Sprachkurse, andererseits bieten wir sie viel früher an. Außerdem werden die Integrationskurse für Geduldete und Asylbewerber, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, geöffnet.
Sie sprechen in Ihrer Frage auch das Thema „kulturelle Integration“ an, das sicherlich auch einen Teil der Integrationskurse einnehmen wird, ebenso wie die Vermittlung unserer Grundwerte. Ich glaube, dass diese Art der Integration eine ebenso große Herausforderung ist, wie etwa die sprachliche Integration oder die Integration in den Arbeitsmarkt. Anders als die Union will die SPD aber nicht den Geflüchteten mit erhobenem Zeigefinger begegnen und Benimmregeln vorsetzen. Ich halte daher den Vorschlag von Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel, unser Grundgesetz ins Arabische zu übersetzen und in den Flüchtlingsunterkünften auszulegen, für einen guten Start. In Niedersachsen wird das bereits mit Erfolg durchgeführt. Denn für mich und meine Partei ist klar: Wer nach Deutschland kommt, für den gilt deutsches Recht bzw. zu allererst das Grundgesetz, in vollem Umfang und ohne Einschränkung! Das betrifft etwa die Gleichstellung von Männern und Frauen ebenso wie etwa das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Das Grundgesetz gilt aber auch für diejenigen, die rechte Hetzparolen oder sogar Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte verüben. Diesen Übeltätern muss der Staat mit der vollen Härte des Gesetzes begegnen!
Freundliche Grüße
Uli Grötsch MdB