Sehr geehrter Herr Bacherle, Was kann die deutsche Regierung tun, um das Leid der Palästinenser zu verringern?
Was halten Sie persönlich von Netanjaus Vorgehen, der die Angriffe auf Zivilisten mit der "Selbstverteidigung Israels" rechtfertigt?
Liebe Grüße, H.
Guten Tag Hannah J.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Nahost-Konflikt.
Wir alle stehen in diesen Tagen vor einer Reihe schwieriger Entscheidungen und oft auch schlechter Optionen. Die Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen haben auf beiden Seiten des Konflikts traumatische Dimensionen und werden eine Zäsur im politischen Nahen Osten darstellen.
Einerseits stehen wir angesichts des menschenverachtenden Angriffs der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober solidarisch und entschlossen an der Seite Israels und seiner Menschen. Seit dem Holocaust sind noch nie so viele Israelis an einem Tag getötet worden wie jetzt. Es befanden sich lange mehr als 150.000 Binnenflüchtlinge in Israel. Das Land hat ein Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen der Vorgaben, die das Völkerrecht für solche Ausnahmesituationen vorsieht. Deshalb ist Kritik an der Kriegsführung auch möglich und nötig, denn das Völkerrecht gibt nicht nur das Recht, sondern auch den Rahmen vor. Dies wird übrigens auch in Israel selbst vehement debattiert. Gleichzeitig ist für uns Deutsche das Existenzrecht Israels durch nichts zu relativieren. Israel kämpft gegen einen Feind, die Hamas, die nicht nur dieses Existenzrecht anzweifelt und gezielt unschuldige Zivilisten massakriert, sondern die auch unschuldige Zivilbevölkerung in Gaza auf perfide Weise als Schutzschilde und Faustpfand nutzt.
Die humanitäre Lage der in Gaza leidenden und festsitzenden Zivilbevölkerung wird während der kriegerischen Auseinandersetzung jeden Tag katastrophaler. Für uns steht außer Frage, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, damit die Menschen vor Ort schnellstmöglich sicheren Zugang zu dringend notwendiger humanitärer Hilfe – Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung – erhalten. Die Luftangriffe auf Organisationen wie World Central Kitchen sind hierbei eine wirkliche Katastrophe. Die Bundesregierung setzt sich daher gemeinsam mit internationalen Partnern mit Nachdruck für einen humanitären Zugang nach Gaza ein und steht selbst bereit, Hilfe zu leisten. Gleichzeitig haben wir humanitäre Waffenruhen gefordert in der Hoffnung, dass sie letztendlich auf einen verhandelten Waffenstillstand und langfristig in eine politische Lösung münden. Wir Grüne sind diejenigen, die im Bundestag am lautesten und hartnäckigsten eine Zwei-Staaten-Lösung als Ergebnis eines internationalen Friedensprozesses fordern.
Wenn Sie unsere Pressestatements in den vergangenen Monaten verfolgt haben, werden Sie feststellen, dass wir mit scharfen Worten die Politik der rechtsgerichteten Regierung unter Benjamin Netanjahu kritisiert haben. Sie hat das Land innenpolitisch zerrissen und außenpolitisch vor große Herausforderungen gestellt.
Ich habe vergangene Woche unter anderem mit der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung darüber gesprochen und eine Waffenruhe gefordert (https://www.szbz.de/nachrichten/artikel/tobias-bacherle-heikle-mission-in-tunesien-libyen-und-aegypten) Die Ereignisse der vergangenen Monate haben nun die Notwendigkeit der Zwei-Staaten-Lösung nochmals stärker in den Vordergrund gerückt und die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik wachsen lassen, auch in den USA. Dem schließen wir uns nachdrücklich an.
Mit freundlichen Grüßen
Tobias B. Bacherle