Warum hat die CDU/CSU ihre treuen Stammwähler, die Russlanddeutschen, verloren?
Sehr geehrter Herr Frei,
ihre Partei hat sich sicherlich mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Immerhin macht diese Bevölkerungsgruppe ca. 2,5 Millionen potentielle Wähler aus, die jahrzehntelang auf allen politischen Ebenen treu die CDU bzw. CSU gewählt haben.
Was ist Ihre bzw. die Meinung Ihrer Partei, warum die meisten Russlanddeutschen bereits seit einiger Zeit nicht mehr die CDU/CSU wählen?
Sehr geehrter Herr W.,
das ist eine gute Frage, die ich mir immer wieder Stelle, weil ich selbst eine große Community in meinem Wahlkreis habe. Vor allem beschreiben Sie eine Entwicklung, die wir auch wahrnehmen und die uns gerade auch in unserer Gruppe der "Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten" innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den letzten Jahren immer wieder intensiv beschäftigt hat. Schließlich zählen wir die Aussiedler- und Vertriebenenpolitik zu unserem Markenkern und erachten uns selbst als Anwalt der Lebensleistung und des Erbes dieser Bevölkerungsgruppen. Fakt ist aber auch, dass es uns trotzt greifbarer Erfolge wie die Einweihung des Deutschlandhauses in Berlin oder bei der Grundrente, von denen auch ganz viele Mitglieder dieser wichtigen Bevölkerungsgruppen finanziell profitieren konnten, nicht gelungen ist, unsere zentrale Forderung, die Novellierung des Fremdrentengesetzes durchzusetzen. Wir haben lange gekämpft, sind aber bei der SPD auf Granit gestoßen, obwohl die damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen sehr gering ausgefallen wären. Das war für mich in höchstem Maße ernüchternd und unbefriedigend. Hinzu kommt, dass womöglich von den eher konservativ eingestellten Russlanddeutschen die Abkehr von vielen bewährten Grundfesten in unserer Gesellschaft als negativ eingeordnet wird.
Ehrlicherweise bin ich aber zuversichtlich, dass wir Vertrauen auch wieder zurückgewinnen können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass SPD, Grüne und auch FDP kritisch auf die Vertriebenen- und Aussiedlerthematik schauen. Gerne erinnere ich an die letzte rot-grüne Bundesregierung, die das Thema sehr stiefmütterlich behandelt und finanzielle Mittel des Bundes in diesem Feld auf ein Minimum gekürzt hat. Und auch für die Zukunft ist angesichts der gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Koalitionsfraktionen nicht zu erwarten, dass die Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik zur Herzensangelegenheit der Ampel werden wird. Ganz im Gegenteil, da wichtige identitätsstiftende Dinge wie Tradition, Herkunft, Heimat keine Rolle im Gesellschaftsbild der links-liberalen Parteien spielen. Hier aber werden wir ansetzen. Wir werden insbesondere auch unser konservatives Profil schärfen. In jedem Fall werden wir uns weiter vorbehaltlos und nun auch frei von Koalitionszwängen der Aussiedler- und Vertriebenenpolitik widmen.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Frei