Hallo Herr Frei, warum hat das Thema Volksentscheid (nach dem Vorbild der Schweiz) nicht Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden?
Ich finde, in der heutigen Zeit der immer größer werdenden Spaltung unserer Gesellschaft wäre es ein gutes Signal, wenn wir Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen Entscheidungen / Gesetzen ein Mitspracherecht bekommen.

Sehr geehrter Herr K.,
das Thema hat keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, weil es erstens nicht als dringlich zur Lösung der gravierendsten Herausforderungen angesehen wird und weil es zweitens sehr unterschiedliche Ansichten zwischen den Koalitionspartnern dazu gibt. Somit würde es keine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag geben. Eine solche Verfassungsänderung wäre aber notwendig. Aus Sicht der Koalitionspartner ist vielmehr entscheidend, die repräsentative Demokratie zu stärken und die Effizienz der staatlichen Institutionen zu erhöhen. Auch deshalb haben wir uns dazu entschieden, ergänzend zur repräsentativen Demokratie dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages fortzusetzen.
Wenn Sie nach meiner ganz persönlichen Haltung zu Volksentscheiden fragen, dann ist die Schweiz ganz sicher ein interessantes Beispiel für eine lebendige Demokratie. Auch ich bin überzeugt, dass es unter den dortigen Rahmenbedingungen sehr starke Argumente für Volksentscheide auf kommunaler oder kantonaler Ebene gibt, wenn es beispielsweise um finanzielle Lasten geht. Hier ist es richtig, das Volk zu befragen. Schließlich muss es die Kosten dafür unmittelbar tragen. Zumal die fiskalische Autonomie in den Kantonen sehr hoch ist. Andererseits sehen wir auch, dass das Prinzip der direkten Demokratie oft nur schwarz und weiß kennt. Die Realpolitik aber wird dadurch oft in Bedrängnis gebracht, weil die meisten Sachverhalte auch in der Schweiz höchst komplex und vielschichtig sind. Man denke nur an die Masseneinwanderungsinitiative im Kontext der europäischen Verträge.
Am Ende des Tages sind beide Systeme kaum vergleichbar, da es in der Schweiz faktisch keine Opposition gibt und die direkte Demokratie im Schweizer Sinne ganz sicher nicht 1:1 auf Deutschland zu übertragen wäre. Probleme und Veränderungswünsche gibt es hüben wie drüben. Nur der Blickwinkel ist immer ein anderer. Es wäre aber eine Illusion, zu glauben, dass man mit Volksentscheiden alle Probleme lösen oder gar alle Menschen gleichermaß zufrieden stellen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Frei