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Thorsten Frei
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Frage von Michael I. •

Gab es Ihrerseits eine Fehleinschätzung der Sicherheitslage für Ortskräfte in Afghanistan?

Sehr geehrter Herr Frei,
in ihrer Bundestagsrede vom 23. Juni 2021 sprachen sich gegen den Antrag der Grünen zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte aus und begründeten dies unter anderem mit der unterschiedlichen Sicherheitslage innerhalb Afghanistans:
„ [...] weil die Sicherheitslage in Afghanistan höchst unterschiedlich ist. Wenn man beispielsweise auf das Vordringen der Taliban schaut, erkennt man: Das betrifft vielleicht 10 Distrikte von 400 Distrikten in Afghanistan.“
AFP / France24 berichtet schon am Tag zuvor (22. Juni 2021 14:50) das schon 87 Distrikte durch die Taliban kontrolliert wurden.
https://www.france24.com/en/live-news/20210622-taliban-capture-afghanistan-s-main-tajikistan-border-crossing
- Worauf beriefen sich Ihre Informationen zum damaligen Zeitpunkt zur Gefährdungslage in Afghanistan?
- Hätten Sie aufgrund dieser Tatsache (87 statt 10 Distrikte) dem Antrag der Grünen zugestimmt?
- Wie können zukünftig int. Gefährdungslagen besser eingeschätzt werden?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Issenmann,

vielen Dank für Ihre Frage zur Lage in Afghanistan, die wir aktuell alle mit großem Erschrecken verfolgen. Fakt ist, dass Mitte Juni niemand einen derart raschen Zusammenbruch Afghanistans vorhersehen konnte. Niemand (die Nachrichtendienste, die Bundesregierung, die internationale Staatengemeinschaft) hat zum damaligen Zeitpunkt erwartet, dass Afghanistan unmittelbar nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte von den Taliban überrannt werden würde. Dafür waren die Sicherheitskräfte zahlenmäßig zu überlegen, zu gut ausgestattet und trainiert. Es bestand die Erwartung, dass das afghanische Volk sich nicht erneut von den Taliban und deren grausamen Moral- und Staatsvorstellungen unterjochen lassen würden. Uns alle hat dieser eklatant fehlende Kampfeswillen überrascht und erschüttert.

Meine Beurteilung der Lage damals resultierte insbesondere aus dem vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellten Lagebericht und weiteren öffentlich zugänglichen Quellen. Selbst der letzte Lagebericht des von der SPD geführten Auswärtigen Amtes kam Mitte Juli noch immer zu keiner neuen Bewertung der Sicherheitslage. Im Rückblick war das eine Fehleinschätzung, die aber auch von unseren Verbündeten und deren Nachrichtendiensten ebenso geäußert wurde.

Wenn Sie meine Rede vom 23. Juni vollständig lesen oder ansehen, dann sehen Sie, dass ich mich unmissverständlich für die schnelle Aufnahme von Ortskräften im beschleunigten Verfahren ausgesprochen habe. Eine Gruppenaufnahme - wie sie die Grünen damals gefordert haben - ist auch international nicht üblich. Unabhängig davon war der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. Juni richtig, da die afghanische Regierung zu diesem Zeitpunkt noch große Teile des Landes kontrollierte. Es ist müßig bzw. leicht, heute diese Entscheidung in Frage zu stellen. Klar ist, dass es heute eine fundamental geänderte Situation gibt.

Deshalb hat sich die Bundesregierung dazu entschieden, neben deutschen Staatsbürgern auch ehemalige Ortskräfte und auch exponierte Personen der Zivilgesellschaft, die mit Repressalien der Taliban zu rechnen haben, zu evakuieren. Diese Entscheidung erachte ich als richtig. Darüber hinaus braucht es schnelle massive Hilfe in den Nachbarländern, um dort afghanische Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Und drittens braucht es so schnell es geht, ein Sondergipfel der NATO zur Bewertung der Sicherheitslage und um notwendige Schlussfolgerungen aus diesem Scheitern dort zu ziehen.

Um in Zukunft besser gewappnet zu sein, müssen wir die Vernetzung der Sicherheit auch in unserer Regierung abbilden. Daher wollen wir im Bundeskanzleramt einen Nationalen Sicherheitsrat schaffen, der außen- und sicherheitspolitische Koordinierung, strategische Vorausschau und nachrichtendienstliche Erkenntnisse des Bundes und der Länder zusammenführt. Ebenso muss Deutschland bereit sein, mehr finanzielle Ressourcen für nachrichtendienstliche Informationsgewinnung bereitzustellen. Das Gleiche gilt für die Bundeswehr an sich, die aufgrund fehlender eigener Fähigkeiten nach der Abzugsentscheidung der Amerikaner das Land verlassen musste und auch bei der Evakuierungsoperation ohne US-Unterstützung nicht auskommen würde.

Mit freundlichen Grüßen

Thorsten Frei

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