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Thomas Strobl
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Frage von Frank N. •

Frage an Thomas Strobl von Frank N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

1. Wie viele Abgeordnete haben ein Direktmandat und sind so direkt von den Wählern gewählt worden?

2 .Wieviele sind durch die Parteien durch die Listenplätze "zum Bundestag "delegiert" worden?

3. Warum sind im Bundestag so wenig Abgeordnete, die arbeitslos waren?

4. Warum wird der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten nicht vom Wähler gewählt?
Dann würde es keine Probleme wie in Hessen geben.
Wäre doch interessant, wenn der Regierungschef einer anderen Partei angehören würde, als es die "Regierungspartei" ist.
Ich bin jedenfalls für eine Änderung des Wahlrechts.
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass mit einen neuen Wahlrecht mehr Demokratie erreicht würde und so des Volkes Willen besser durchgesetzt werden könnte? Zur Zeit gibt es ja einen sogenannten Fraktionszwang.

MfG
Frank Neumann

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Neumann,

für Ihre E-Mail danke ich Ihnen sehr herzlich.

Aufgrund der schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik hat der Parlamentarische Rat bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes bewusst darauf verzichtet, den Modus der Wahlen zum Deutschen Bundestag festzulegen. Artikel 38 Abs. 1 und Artikel 39 unserer Verfassung legen deshalb heute nur fest, dass die Abgeordneten des Bundestages in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen für die Dauer von vier Jahren gewählt werden und dass sie an Weisungen nicht gebunden sind. Die näheren Einzelheiten werden durch das Wahlgesetz geregelt, das mit einfacher Mehrheit geändert werden kann und im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik mehrfach Gegenstand intensiver Diskussionen war.

In seiner heutigen Fassung umfasst unser Wahlgesetz sowohl Elemente des Mehrheits- als auch des Verhältniswahlrechtes, so dass jeder Wähler bei der Bundestagswahl zwei Stimmen abgeben kann. Die eine Hälfte der Bundestagsmandate wird direkt über die 299 Wahlkreise vergeben, die andere Hälfte über die Landesliste der Parteien. Über die Entsendung von Abgeordneten aus den Wahlkreisen entscheidet die Erststimme, mit der der Wähler seinen regionalen Vertreter wählt, während hingegen mit der Zweitstimme eine Partei gewählt wird. Die Zweitstimme entscheidet darüber, in welchem Kräfteverhältnis die Parteien im Bundestag vertreten sind. Insgesamt werden so mindestens 598 Abgeordnete des Bundestages gewählt. Hinzu kommen unter Umständen noch die so genannten Überhangmandate, die entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate errungen hat als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. In diesem Fall verfallen die Direktmandate nicht, da alle direkt gewählten Abgeordneten auf jeden Fall einen Sitz im Bundestag bekommen, sondern die Überhangmandate erhöhen die Zahl der 598 Parlamentarier. Im 16. Deutschen Bundestag waren bei seiner Konstituierung 16 Überhangmandate, neun für die SPD und sieben für die CDU, das heißt insgesamt 614 Abgeordnete vertreten. In der Zwischenzeit ist ein Kollege, der bei der Bundestagswahl 2005 ein Direktmandat errang, aus dem Bundestag ausgeschieden, ein weiterer verstorben. Da, solange eine Partei Überhangmandate hat, bei Ausscheiden eines Abgeordneten niemand nachrückt, setzt sich der Deutsche Bundestag derzeit aus 612 Abgeordneten zusammen. 313 davon wurden direkt, 299 aufgrund der Landeslisten -- und das möchte ich betonen - gewählt und nicht zum Bundestag delegiert. Nicht die Parteien, sondern die Wählerinnen und Wähler entscheiden über die Zugehörigkeit zum Bundestag und insoweit bin ich für Ihre dritte Frage leider der falsche Adressat und vermag nur zu spekulieren.

Was ihre letzte Frage betrifft, so möchte ich zu bedenken geben, dass die Erfahrung der Weimarer Republik zeigt, dass ein Dualismus in der Staatsführung außerordentlich gefährliche Konsequenzen haben kann. Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes ist er deshalb vom Parlamentarischen Rat konsequent beseitigt und die Konkurrenz präsidialer und parlamentarischer Regierung zugunsten einer ausschließlich aus dem Parlament hervorgehenden, von dessen Mehrheit getragenen und abhängigen Regierung aufgehoben worden. In den letzten 60 Jahren hat dieses System außerordentlich gut funktioniert und die gegenwärtige politische Lage in Hessen ist meines Erachtens nicht dazu angetan, dieses System grundsätzlich in Frage zu stellen.

Hingegen könnte die von Ihnen vorgeschlagene Regelung zu einer vollständigen Lähmung unseres Gemeinwesens führen. Ein direkt vom Volk gewählter Bundeskanzler könnte vom Bundestag nicht mehr abgerufen werden und würde folglich über dem Parlament stehen. Sollte der Bundeskanzler einer Partei angehören, die nicht Teil der "Regierungskoalition" ist, so würde er sich für seine Pläne und Vorhaben im Bundestag nicht auf eine Mehrheit verlassen können, sondern müsste von Fall zu Fall mit wechselnden Koalitionen regieren, - wenn seine Gesetzesentwürfe überhaupt eine Mehrheit fänden. Unübersichtlichkeit und Unberechenbarkeit der Politik, im schlimmsten Fall Stillstand, Lähmung, Stagnation und Verdruss wären die Folge. Einer Änderung unserer Verfassung in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne stehe ich deshalb sehr skeptisch gegenüber. Sie würde die Bundesrepublik nicht demokratischer machen, sondern vermutlich die Grundlagen unserer Demokratie selbst gefährden.

Dem ungeachtet glaube ich, dass eine zunehmende Personalisierung in der Politik jedenfalls in dem von Ihnen beschriebenen Sinne Wahlentscheidungen sehr stark beeinflusst. Die Frage, welche Partei gewählt wird, hängt in starkem Maße von der Person des Spitzenkandidaten ab, der ja als Kanzler- oder MP-Kandidat vor der Wahl fest steht. Diese zunehmende Personalisierung von Wahlen ist freilich legitim und möglicherweise ja in Ihrem Sinne.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Strobl