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Thomas Strobl
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Frage von Luis Alberto Fernández V. •

Frage an Thomas Strobl von Luis Alberto Fernández V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Thema: Umfang und Grenzen der parlamentarischen Immunität

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

als Vorsitzender desjenigen Ausschusses, der sich mit der parlamentarischen Immunität befaßt, möchte ich Sie fragen: Worauf erstreckt sich diese Immunität?

Ich dachte, sie bezieht sich nur auf Strafverfolgung. Darin soll der Umfang liegen. Bezieht sie sich aber auch auf andere Rechtsgebiete – z.B. Zivilrecht?

Heißt es dann, daß Parlamentarier als Gesetzgeber an die Gesetze nicht gebunden sind, daß sie Gesetze nicht mehr zu beachten brauchen, weil sie nicht verfolgt werden können oder weil sie sich daran nicht halten müssen?

Wirkt das nicht ein bißchen demoralisierend dem System, z.B. der Rechtsordnung gegenüber, wenn es so was wie „ungesetzliche“ bzw. „gesetzlose“ Abgeordnete gibt bzw. geben darf? Wird ein solches Phänomen das Vertrauen der Bürger in die Gültigkeit eher erschüttern?

Wenn ja, was tut der Bundestag – insbesondere Ihr Ausschuß, um diesem Eindruck entgegenzuwirken?

Für eine ausführliche sowie aussagefähige Antwort auf meine vielfältigen Fragen wäre ich Ihnen äußerst verbunden.

Mit freundlichen Grüßen

Luis Fernández Vidaud

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Vidaud,

Ihre Fragen zum Immunitätsrecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages beantworte ich als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gern in der gewünschten Ausführlichkeit:

Das Immunitätsrecht des Deutschen Bundestages besitzt seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 46 Grundgesetz. Diese Verfassungsvorschrift regelt in Absatz 1 die sog. Indemnität und in den Absätzen 2 bis 4 die eigentliche Immunität. Innerparlamentarisch wird Art. 46 Grundgesetz ergänzt durch § 107 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) und insbesondere den Beschluss des Deutschen Bundestages betr. die Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages und die vom Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) beschlossenen Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten.

Das Immunitätsrecht bezweckt vornehmlich, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages sicherzustellen. Es schützt den Bundestag als Verfassungsorgan vor Übergriffen der Exekutive und Judikative auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung. Es handelt sich nicht um eine Privilegierung von Abgeordneten, gegen Gesetze verstoßen zu können, ohne dafür belangt zu werden.

Die Immunität betrifft Strafverfahren und sonstige Zwangsmaßnahmen gegen einzelne Mitglieder des Bundestages. Das Immunitätsrecht bildet ein Strafverfolgungshindernis. Es schließt solche Verfahren und Maßnahmen nicht aus, macht ihre Durchführung aber von einer Genehmigung des Bundestages abhängig.

Genehmigungspflichtig sind alle Strafverfahren gegen ein Mitglied des Bundestages, Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Verfahren, in denen das Mitglied des Bundestages Beschuldigter oder Angeklagter ist, sowie Verhaftungen.

Im Bereich des Zivilrechts besteht der Immunitätsschutz bei der Vollstreckung von Ordnungshaft zur Erzwingung einer Unterlassung oder Duldung (§ 890 ZPO) sowie zur Vollstreckung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners (§ 901 ZPO), da es sich hier ebenfalls um Zwangsmaßnahmen handelt.

Der Deutsche Bundestag hat - wie auch in der Vergangenheit - zu Beginn dieser Wahlperiode generell die Durchführung von Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gegen die Mitglieder des Deutschen Bundestages genehmigt. Einzelheiten können Sie der Bundestags-Drucksache 17/1 vom 27. Oktober 2009 entnehmen, die Sie auf der Homepage des Bundestages ( www.bundestag.de ) unter dem Link "Dokumente und Recherche" finden.

Das heißt: Wir heben zu Beginn jeder Legislatur die Immunität für alle Abgeordneten durch Parlamentsbeschluss sozusagen auf! Somit kann eine Strafverfolgungsbehörde grundsätzlich ein entsprechendes Verfahren einleiten, sofern sie den Anfangsverdacht für eine Straftat bejaht und der Deutsche Bundestag nicht binnen 48 Stunden nach Eingang der Mitteilung über das beabsichtigte Verfahren widerspricht.

Immunitätsrechtlich setzen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Bundestagsabgeordnete daher nach der langjährigen Entscheidungspraxis des Bundestages keine ausdrückliche Immunitätsaufhebung voraus. Eine ausdrückliche Genehmigung ist nur bei einer Durchsuchung, einer Verhaftung oder einer Anklageerhebung erforderlich.

Der Bundestag pflegt in ständiger Übung die Genehmigung zur Erhebung einer Anklage, zum Erlass eines Strafbefehls oder zum Vollzug eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses nach Prüfung der jeweiligen Voraussetzungen zu erteilen.

Die Praxis des Bundestages zielt damit darauf ab, seine Mitglieder im Falle eines Strafverfahrens oder anderer Zwangsmaßnahmen nicht anders als die übrigen Bürger zu behandeln.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssen sich somit ebenso wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger an die geltenden Gesetze halten. Sie können und werden, wie eben dargestellt, ebenso wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger bei der Begehung von Straftaten verfolgt. "Gesetzlose" Abgeordnete gibt es daher nicht.

Eine Ausnahme gilt nur für sogenannte politische Beleidigungen mit Ausnahme von Verleumdungen. Da aufgrund des Verfassungsgrundsatzes der Indemnität Äußerungen innerhalb des Bundestages nicht verfolgt werden können, soll dies auch nicht für politische Beleidigungen möglich sein, die in einer öffentlichen, möglicherweise zugespitzt geführten Auseinandersetzung geschehen. Von der Indemnität ausgenommen sind aber Verleumdungen, d. h. die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen wider besseres Wissen.

Weitere ausführliche "Erläuterungen zum Immunitätsrecht" finden Sie ebenfalls auf der Homepage des Bundestages auf der Seite des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.

Ich hoffe, dass diese Antwort Ihrem Wunsche gemäß hinreichend "aussagefähig" ist, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Thomas Strobl MdB