Frage an Thomas Strobl von Jürgen H. bezüglich Verbraucherschutz
1. Trifft es zu, dass das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) ausschließlich für die Bürger und Versicherten des Beitrittsgebietes geschaffen wurde, um deren Rentenbelange nach der Wiedervereinigung zu regeln?
2. Waren Ihrer Meinung nach die Deutschen, die vor dem Mauerfall und Wiedervereinigung die DDR verlassen haben und rechtsstaatlich in die alten Bundesländer eingegliedert wurden, zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR als DDR-Bürger anzusehen?
3. Die ehemaligen DDR-Flüchtlinge wurden im Zug ihrer Eingliederungsverfahren nach geltendem Recht (Fremdrentenrecht) in die bundesdeutschen Sozialversicherungen übernommen. Die Rentenversicherungsträger haben den Versicherten darüber entsprechende Bescheide erteilt. Können Sie ein Gesetz nennen, das nach erfolgtem Beitritt der DDR die Löschung dieser Rentenanwartschaften und eine Neubewertung nach dem RÜG zulässt bzw. sogar verlangt? Können Sie ein Gesetz nennen, das die Versicherungsträger aus der Pflicht entlässt, die betroffenen Versicherten darüber zeitnah zu informieren, also auf die Versendung entsprechender Aufhebungsbescheide zu verzichten?
4. Der Bundestag ist lt. Grundgesetz der Gesetzgeber. Die Gesetzesvorlagen werden in der Regel von Fachleuten aus den einschlägigen Ministerien erstellt. Gesetzeskraft erhalten diese nach der Verabschiedung durch den Bundestag.
Halten Sie es für vertretbar, dass die Exekutive nach der Verabschiedung eines Gesetzes dieses Gesetz eigenmächtig auf eine weitere Zielgruppe anwendet, die bei der Debattierung und Verabschiedung des Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen wurde?
Sehr geehrter Herr Holdefleiß,
haben Sie vielen Dank für Ihre sehr präzise Anfrage zum Thema „Bürgerrechte, Daten und Verbraucherschutz“. Obwohl ich kein Experte auf dem Gebiet Rentenüberleitung bin, ist mir der Vorgang aufgrund ähnlicher Anfragen von Bürgern meines Wahlkreises nicht vollkommen unbekannt und ich versuche Ihre vier Fragen so genau wie möglich zu beantworten.
1. Nach der Rechtsauffassung der amtierenden Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen von CDU/CSU und SPD hatte das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 folgendes Ziel: Es sollte die einheitliche Geltung des Rentenrechts nach der Regelungssystematik des Sozialgesetzbuchs VI für alle Rentenansprüche herbeiführen, die aus im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten entstanden sind oder entstehen. Dies schließt DDR-Flüchtlinge, die vor dem 9. November 1989 in die Bundesrepublik kamen, wenn nicht explizit, so doch inhaltslogisch komplett mit ein. Einer solchen, für die DDR-Flüchtlinge irritierenden und mit teilweise erheblichen materiellen Nachteilen verbundenen Auslegung haben sich die Gerichte in ihrer Spruchpraxis ausnahmslos angeschlossen, darunter das Bundessozial- und das Bundesverfassungsgericht (vgl. Auskunft der Bundesregierung in Drucksache 16/5571 vom 11.06.2007), sodass an der Gültigkeit dieser Auslegung nicht zu zweifeln ist.
2. Staatsrechtlich betrachtet wurden die DDR-Flüchtlinge mit Ankunft auf bundesdeutschem Territorium zu Bürgern der Bundesrepublik Deutschland. An diesem Umstand hat m.E. auch der spätere Beitritt der DDR zu demselben Territorium nichts geändert. Einen Widerspruch gravierender Art zu den Aussagen in Punkt 1 sehen die Gerichte in diesem Sachverhalt allerdings nicht.
3. Nach Rechtsauffassung der Bundesregierung und deutscher Gerichte war die Behandlung der DDR-Flüchtlinge nach dem Fremdrentenrecht nur solange berechtigt, wie von einem Fortbestehen zweier deutscher Staaten ausgegangen werden musste. Die Wiedervereinigung änderte die Lage grundlegend und setzte der vorherigen Rechtspraxis auf Grund des allgemeinen Gleichbehandlungsgebotes der Verfassung enge logische, politische und juristische Grenzen. Nach gängiger Spruchpraxis ist daher der Einbezug aller Bürger mit DDR-Erwerbsbiographien (DDR-Flüchtlinge eingeschlossen) in die Regelungen des Rentenüberleitungsgesetzes von 1991 angemessen. Ausnahmen im Bereich der Bestandsübersiedler, die vor 1937 geboren sind (Rentenüberleitungsergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993), rechtfertigen sich durch den sog. Vertrauensschutz ihnen gegenüber und gelten nicht als Widerspruch zur beschriebenen Grundregel. Was Ihre ergänzende Frage nach der Informationspflicht der Versicherungsträger angeht, gilt, dass ein Gesetz, das ein Verschweigen der Veränderungen in der Rechtslage gegenüber den betroffenen Versicherten gestattete, natürlich nicht existiert.
4. Selbstverständlich wäre eine eigenmächtige Abwandlung eines beschlossenen Parlamentsgesetzes durch die Bundesregierung unstatthaft. Dass aber, wie Sie annehmen, im Falle des Rentenüberleitungsgesetzes die Regierung eine solche Willkür hätte walten lassen, wird nicht nur von der Regierung und den sie damals tragenden Koalitionsparteien (übrigens auch von den heutigen Regierungsfraktionen) nicht so gesehen. Eine solche Interpretation wird insbesondere auch vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt, das doch berufen wäre, Einspruch zu erheben, wenn die von Ihnen vermutete Eigenmächtigkeit tatsächlich stattgefunden hätte.
Soweit meine Antworten auf Ihre konkreten Fragen. Lassen Sie mich abschließend noch eine persönliche Bemerkung machen. Mir ist klar, dass für drei Berufsgruppen innerhalb der ehemaligen DDR-Flüchtlinge die geltende Rechtslage eine nicht unbeträchtliche materielle Verschlechterung gegenüber der Situation zum Zeitpunkt ihrer Flucht darstellt, etwa für Hochschulprofessoren, Diplom-Chemiker und ehemalige Piloten der DDR-Fluggesellschaft Interflug. Persönlich werde ich mich gerne dafür einsetzen, dass Möglichkeiten gefunden werden, diese Verschlechterungen rückgängig zu machen, wobei klar sein muss, dass es dabei zu keinen Benachteiligungen von anderen Gruppen kommen darf. Wie diese Regelungen aussehen könnten, ist allerdings schwer vorherzusagen, da alle Vorschläge hierzu bisher von Rechtsexperten als fragwürdig bzw. verfassungsrechtlich problematisch eingestuft wurden. Man wird sehen, was der nächste Bundestag mit möglicherweise neuen Mehrheitsverhältnissen und anderer Sicht der Dinge auf den Weg bringen wird bzw. ob eine Veränderung in der Spruchpraxis der Gerichte selbst Fingerzeige in Richtung einer juristisch tragfähigen Nachbesserung liefert.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Thomas Strobl MdB