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Thomas Strobl
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Frage von Christoph K. •

Frage an Thomas Strobl von Christoph K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Strobl,

viele Bürger fühlen sich nicht richtig vertreten und fordern mehr Einflußnahme auf die Politik bzw. Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen.
Initiativen wie "Mehr Demokratie" haben sich die Umsetzung von Volksentscheiden auf die Fahnen geschrieben ( http://www.mehr-demokratie.de/aktion_volksabstimmung.html ).
Wie stellen Sie sich zu dieser Forderung und wie unterstützen Sie?

Mit freundlichen Grüßen,
Christoph Köble

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Köble,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema „Demokratie und Bürgerrechte“, die ich gerne beantworte.

Was meine Haltung zur Aktion „Mehr Demokratie“ angeht, die für Volksabstimmungen auf Bundesebene eintritt, so sehe ich in deren Ziel nichts grundlegend Ablehnenswertes. Denn es ist ja richtig, dass andere europäische Staaten, darunter unsere fünf größten Partnerländer der EU (Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen und Spanien), Volksabstimmungen längst etabliert haben und damit keine schlechten Erfahrungen machen.

Richtig ist aber auch, dass diese Länder trotz plebiszitärer Elemente auf Nationalstaatsebene durchaus nicht demokratischer sind als Deutschland, der Glaube, über Volksabstimmungen mehr Demokratie wagen zu können, also eine Illusion ist.

Tatsächlich beweisen Umfragen, dass die Zufriedenheit der Menschen mit ihrer jeweiligen Staatsform "in toto" (und an solcher Gesamt-Zufriedenheit muss man ja wohl den Gehalt des „Demokratischen“ festmachen) in Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Spanien nicht größer ist als bei uns (eher im Gegenteil). Die Ausgestaltung der genauen Abstimmungstechnik vermag also zur Gesamtzufriedenheit wenig bis nichts beizutragen.

Auch ein weiterer Umstand lässt mich zögern, den Enthusiasmus von Volksabstimmungsbefürwortern zu teilen, nämlich die im Plebiszit selbst angelegte Manipulationsgefahr, die historisch belegt ist und nicht unterschätzt werden sollte:

Von der Art der Organisation bzw. praktischen Umsetzung her haben Plebiszite nahezu zwangsläufig die Form simpler Ja-Nein-Entscheidungen. Damit aber reduzieren sie nicht nur unstatthaft komplexe Sachverhalte auf schablonenhaft vereinfachte „Bin-dafür – bin-dagegen“-Voten, die kaum problemadäquat sein können. Ihre Ergebnisse hängen auch hochgradig von der Art der Fragestellung ab, sind also beeinflussbar und verschaffen dem geschickteren Frager Vorteile im Meinungswettstreit. Genau damit aber haben sie mit „Mehr Demokratie“ im eigentlichen Sinne (bezogen auf die Befragten nämlich) nichts zu tun.

Der in Abstimmungen zum Ausdruck kommende Allgemeine Wille ist bei Plebisziten stärker, weit stärker, Manipulationsgefahren ausgesetzt als in unserem System der repräsentativen Demokratie und höhlt im schlimmsten Fall demagogischer Umtriebe die Mündigkeit des Bürgers völlig aus.

Gerade die deutsche Geschichte liefert genügend Beispiele für die derartig entmündigende Missbrauchsmöglichkeit von Plebisziten. So trug etwa die Volksabstimmung über den Young-Plan 1929 (in der es um die Regelung der nach dem 1. Weltkrieg aufgekommenen Reparationsfrage ging) entscheidend zum Aufstieg der undemokratischen Hitler-Bewegung bei. Die Nazis mobilisierten geschickt den Volkszorn, wie es bei normalen Parlamentswahlen (also bei repräsentativer Demokratie) nie möglich gewesen wäre. Obwohl das nicht heißt, Hitler sei allein durch Plebiszite an die Macht gekommen (so einfach ist Geschichte nie), bedeutet es doch, dass plebiszitäre Elemente in der Verfassung ihm unfreiwillig den Steigbügel hielten und als Demokratie-sicherndes Element komplett versagten.

Das Argument inhärenter Schwächen von Plebisziten, die „Böses“ nicht verhindern können, gilt auch mit umgekehrter Stoßrichtung. Sie können „Gutes“ nicht herbeiführen. Tatsächlich hätte es viele Errungenschaften der Gegenwart nie gegeben, wenn plebiszitär darüber abgestimmt worden wäre: Die Soziale Marktwirtschaft nicht, den Euro nicht, eine auf Verantwortungsethik fußende Außen- und Sicherheitspolitik nicht, wie sie im Schmidt-Kohl´schen Nato-Doppelbeschluss deutlich wurde. All dies war anfänglich ziemlich unpopulär (teilweise sogar verhasst) und hätte nie eine Volksabstimmung überstanden. Dennoch waren diese Weichenstellungen notwendig für die Menschen, und die NATO-Nachrüstung der achtziger Jahre war sogar (Zitat Gorbatschow) „das entscheidende Stärkesignal des Westens Richtung Warschauer Pakt, um die Perestroika in Russland zu ermöglichen.“ Ohne Doppelbeschluss kein Mauerfall und keine Wiedervereinigung!

Ich hoffe, Ihnen meine Ansicht hinreichend verdeutlicht zu haben, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Ihr
Thomas Strobl