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Frage von Sven H. •

Frage an Thomas Spies von Sven H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Spies,

Wir behandeln im Unterricht momentan das Thema "Interessenvertretung durch Abgeordnete". Nun wollten wir sie nach ihrer Meinung zu diesem Thema befragen. Sind Sie der Ansicht, ob die Abgeordneten immer die Interessen ihrer Partei durchsetzten oder auch auf die Mitsprache der Bürger achten bzw. eigene Interessen einbringen? Über eine möglichst baldige Antwort würden wir uns sehr freuen!

Mit freundlichsten Grüßen S. H. M. S. u. N. K..

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Hedderich,

vielen Dank für Ihre Email über Abgeordnetenwatch, die ich gerne beantworte.

Allerdings scheint mir da ein Verständnis von „Interesse einer Partei“ zum Ausdruck zu kommen, das ich nicht so ganz nachvollziehen kann. Was verstehen Sie denn unter Interesse einer Partei im Gegensatz zum Interesse von Bürgern oder meinem eigenen? Welches Interesse außer der Möglichkeit, ihre Wertvorstellungen und daraus resultierenden Ideen oder Konzepte umsetzen zu können, sollten denn Parteien haben? Vielleicht noch, dass demokratische Verhältnisse und Chancengleichheit bei Wahlen herrschen, oder dass Parteien mit den nötigen Hilfsmitteln für die Information über ihre Vorschläge oder Wahlkämpfe oder so ausgestattet sind.

Ich vermute, Sie beziehen sich eher auf inhaltliche Positionen, als welche Politik gemacht werden soll. Damit vertreten Parteien aber immer die Interessen von Bürgern. Manchmal die von allen, manchmal die von einigen. Das Mord strafbar ist, ist im Interesse von allen (außer vielleicht von Mördern, aber die wollen ja auch nicht selbst ermordet werden). Also ist eine Politik, die ein Gesetz macht, dass Mord verbietet und streng bestraft, für alle Bürger da. Dagegen gibt es auch Teile, da unterscheiden sich die Interessen der Bürger. Zum Beispiel, wenn es um Verteilung geht: sollen Reiche mehr Steuern zahlen als Arme, damit es für alle Strassen und Schwimmbäder und Sportplätze und Schulen gibt? Vom Standpunkt der Reichen vielleicht nein, vom Standpunkt der Armen auch sicher ja. Aber das sollte doch vor allem eine Gerechtigkeitsfrage sein, und nicht eine Interessenfrage, bei der dann der Stärkere seine Interessen durchsetzt.

Was gerecht ist und was nicht, dass kann man meistens ziemlich genau herausfinden, wenigstens einigermaßen, ohne dabei nur nach Einzelinteressen zu sehen. Kluge Philosophen haben da gute Methoden entwickelt, zum Beispiel der Engländer John Rawls. Und politische Parteien haben Gerechtigkeitskonzepte, für die sie gewählt worden sind (warum auch sonst?). Man kann die Frage, was konkret die gerechteste oder beste Lösung ist, überhaupt nur feststellen, wenn man mit Bürgern kommuniziert. Deshalb beziehen alle Politiker ständig Bürger rein: sie gehen auf Feste, um mit den Leuten zu reden (die Leute könnten auch bei uns anrufen, machen sie aber nicht), oder sie machen Diskussionsveranstaltungen oder Gespräche mit Leuten oder was auch immer.

Wenn es Konflikte zwischen verschiedenen Bürgerinteressen gibt (z. B. arme gegen reiche) dann entscheide ich mich für die Interessen, die der Gerechtigkeitsvorstellung entsprechen, für die ich gewählt wurde, also den Interessen meiner Wähler und ihrer vermuteten Gerechtigkeitsvorstellung. (Zumindest in der Theorie) bin ich ja gewählt worden, weil die Leute mir genau das zutrauen, nämlich sachlich richtige und gerechte Entscheidungen zu treffen. Warum sollten mich sonst jemand wählen? Und das stimmt dann auch mit den Vorstellungen meiner Partei überein, jedenfalls in den Grundzügen. Sonst wäre ich ja in der falschen Partei und müsste in eine andere Partei gehen, deren Werte mit meinen übereinstimmen.

Also, ich mache das so: ich habe eine Grundüberzeugung, wie die Welt klug und gerecht organisiert und gestaltet wird. Die teile ich mit der SPD – nicht alles, nicht immer, aber das kann ja auch nicht anders sein: 100 % Übereinstimmung wäre ja ziemlich strange. Und ich teile sie mit den Leuten, die mich gewählt haben, und oft mit noch viel mehr. Und wenn ich von einer Frage viel verstehe oder gut informiert bin, dann kann ich auch genau das tun, wozu Abgeordnete gewählt werden: politische Entscheidungen treffen. Wenn ich nicht so genau Bescheid weiß, dass such ich mir Kollegen oder Interessenvertreter (Lobbyisten) und Bürger, die es mir erklären, und dann wäre ich die Ergebnisse ab. Dann muss ich mich mit den anderen in meiner Fraktion abstimmen. Wenn ich die besseren Argumente habe, setze ich mich durch, sonst eben nicht. Am Ende muss man zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, dass möglichst gerecht ist und möglichst viele gute Gründe berücksichtigt. Und das setzt man dann gemeinsam um. Dann allerdings auf jeden Fall gemeinsam, denn wenn man demokratisch diskutiert und dann abgestimmt hat, dann muss das auch gelten, wenn man verloren hat. Sonst fliegt einem die ganze Demokratie um die Ohren.

Ich hoffe, ich habe damit Ihre Frage einigermaßen beantwortet, sonst fragen Sie einfach nochmal nach.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Thomas Spies, MdL