Thomas Rauscher
FDP
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Frage von Jakob R. •

Frage an Thomas Rauscher von Jakob R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Professor Rauscher,
die Inhalte des Wahlprogramms der FDP und ihre grundsätzlichen Werte und Ideen sagen mir sehr zu. Ich teile auch viele Ihrer Ansichten, die Sie hier auf dieser Website dargestellt haben.
Jedoch habe ich das Gefühl, dass das, was die Mitglieder der FDP sagen, und das, was sie dann letztendlich tun, zwei völlig unterschiedliche Dinge sind.

Ich habe ein wenig im Onlineverzeichnis des Bundestages gestöbert und habe dort auch feststellen können, dass die FDP grundsätzlich immer gemäß der Linie des großen Koalitionsparters abstimmt - selbst dann wenn diese eigentlich ihren eigenen Interessen (oder besser gesagt: der Interessen ihrer Wähler) widerspricht.
Hier ein paar gesammelte Links zu Bildern, die meine These verdeutlichen:

http://i.imgur.com/COoBjoS.jpg (Transparenz zu Nebeneinkünften)
http://i.imgur.com/QtZzBdJ.jpg (Doppelte Staatsbürgerschaft)
https://pbs.twimg.com/media/BSxwtcCIUAA_Ic8.jpg (Gleichgeschlechtliche Ehe)

Mir ist bewusst, dass dies alles Gesetzesentwürfe der SPD/Grünen sind und unter Umständen nicht zu hundert Prozent der Vorstellungen der FDP entsprechen.
Allerdings lässt sich im gesamten Verzeichnis keine Abstimmung finden, in der die FDP von der Haltung der CDU/CSU abweicht.

Durch den laufenden Wahlkampf habe ich allerdings durchaus den Eindruck, dass es beträchtliche ideologische Unterschiede zwischen der FDP und der CDU gibt. (Bsp: Homosexualität, Kirche, Energiewende)
Nun stellt sich mir natürlich die Frage warum ich FDP wählen sollte, wenn diese in Abstimmungen doch nur ein Appendix der CDU ist. Eine Partei, die ich generell nur sehr wenig schätze.
Ich halte die Integrität einer Partei für ein besonders wichtigen Faktor, die FDP scheint diese aber mehr und mehr zugunsten eines Sitzes als Regierungspartei im Bundestag zu vernachlässigen.
Was meinen sie dazu?

Mit freundlichen Grüßen

Jakob Russels

Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Russels,

vielen Dank für Ihre Frage. Offen gestanden sprechen Sie ein Thema an, das mich durchaus in den letzten Jahren auch bewegt hat, insbesondere in der Euro-Rettungsthematik und beim Thema Steuern, wo die FDP sicher viele Wähler aus 2009 enttäuscht hat.

Zwei Gesichtspunkte dazu: Zum einen hat natürlich ein kleinerer Koalitionspartner immer einen höheren Kompromissdruck auszuhalten als der größere, zumal ja in der Konstellation CDU/CSU/FDP auch noch die Besonderheiten des gerne mal etwas unorthodox agierenden CSU-Chefs hinzutreten.
Zum anderen sind auch die Ansichten der einzelnen Abgeordneten - Gott sei Dank - unterschiedlich. So stehe ich zB in der Euro-Thematik eher bei Frank Scheffler, zum Thema Bürgerrechte sehr nahe bei unserer Bundesjustizministerin und bei dem von Ihnen ebenfalls angesprochenen Thema der Adoption in Eingetragenen Lebenspartnerschaften liege ich als Familienrechtler eher auf der Unionslinie.

Warum dann FDP wählen?
Regelmäßig geht das Finden eines Koalitionskompromisses den Abstimmungen im BT weit voraus. Es wäre für eine Koalition ja unerträglich, wenn fortwährend Gesetze an den eigenen Leuten scheitern würden. Also wird bereits im Vorfeld an Gesetzentwürfen gearbeitet, bis man einen Kompromiss hat, den die beiden Unionsparteien und die FDP tragen können. So würde sich ohne FDP gewiss eine Sicherheitspolitik a la Innenminister durchsetzen, während mit FDP bereits Gesetzentwürfe aus dem BMI nicht ohne Abstriche ins Gesetzgebungsverfahren kommen. Schönes Beispiel auch die jüngste Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Da ist die Union noch immer sehr skeptisch gegenüber den Vätern und ein Vorschlag, den ich seit Jahren als Familienrechtler mache, wäre im BMJ angekommen. Am Ende wurde es ein Kompromiss, der immerhin weiter geht als der skeptische Ausgangspunkt der Union.
Manches geht dabei natürlich auch schief: Als Herr Schäuble endlich bereit war, wenigstens die kalte Progression bei der Einkommensteuer anzugehen (ein FDP-Thema und ein Kompromiss in der Koalition!) war die Mehrheit im Bundesrat nicht mehr vorhanden.

Noch ein auf die kommende Legislaturperiode bezogenes Beispiel:
Natürlich werden wir mit der Union um den Solidaritätszuschlag streiten und es wird wieder Kompromisse geben müssen. Ohne FDP wird die Union den Soli aber schlicht zur Dauereinrichtung machen; mit FDP schaffen wir ihn vielleicht nicht, wie wir das möchten, bis 2017 komplett ab, hoffentlich aber in einem etwas längeren Zeitrahmen.

Ich hoffe, ich habe Ihre Frage mit dieser Antwort einigermaßen getroffen.
Beste Grüße
Thomas Rauscher