Frage an Thomas Jurk von Daniel B. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Jurk,
seit Monaten leben Kinder und Jugendliche unter unerträglichen Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern, beispielsweise in Moria (Lesbos). In der aktuellen Ausgabe der Zeit (9/2020) wird ausführlic berichtet, welche tiefgreifenden psychischen Störungen durch die hochproblematischen Lebensbedingungen, die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit verursacht werden. Das hat mich tief erschüttert.
Die EU-Kommission hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, Verantwortung für die Situation zu übernehmen und besonders Schutzbedürftige aufzunehmen. Mehrere europäische Staaten, unter anderem Frankreich und Portugal haben mittlerweile Kontingente zugesagt. Deutschland fehlt in dieser Gruppe. Gleichzeitig sind auf kommunaler Ebene mehr als 80 Städte und Kommunen dem Bündnis „Städte Sicherer Hafen“ beigetreten. Ich war enttäuscht, dass sich die Stadträt_innen in Görlitz im Januar diesen Jahres nicht dazu entschlossen haben, dem Bündnis beitzutreten.
Aktuell gibt es einen Antrag der Fraktionen der Grünen im Bundestag (Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland, 19 / 16838) zur Aufnahme von 5.000 besonders Schutzbedürftigen aus griechischen Flüchtlingslagern. Er soll Anfang März abgestimmt werden.
Wie stehen Sie zu der Frage der humanitären Verantwortungsübernahme durch Deutschland - vorerst noch in Ermangelung und im Vorgriff auf eine gemeinsame europäischen Lösung? Werden Sie den Antrag unterstützen?
Mit freundlichen Grüßen
D. B.
Sehr geehrter Herr Bartel,
vielen Dank für Ihre Frage über abgeordnetenwatch.de. Dass Sie erschüttert sind aufgrund des schrecklichen Bildes, das sich nach der Lektüre des ZEIT Artikels im Flüchtlingslager Moria abzeichnet, kann ich sehr gut verstehen, denn ich bin ebenfalls sehr entsetzt über die Zustände. Kinder und junge Menschen stehen schließlich am Anfang ihres Lebens. Sie wollen ihrer Zukunft voller Hoffnung und Zuversicht begegnen und müssen bereits in so jungen Jahren, die leidvolle Erfahrung von Krieg, Zerstörung und Flucht machen. Das allein ist schon eine traumatisierende und zutiefst verunsichernde Ausgangssituation. Aber im Moment der wiederaufkeimenden Hoffnung nach einer sicherlich auch emotional schwierigen Fluchtsituation, zusätzlich extrem leidvolle Erfahrungen in einem Flüchtlingslager zu machen, ist gravierend. Es ist mehr als deutlich, dass die kindliche Psyche auf die ambivalente Situation einer erwarteten Hoffnung bei gleichzeitiger Hoffnungslosigkeit mit einem gefährlichen Schutzmechanismus reagiert. Davor dürfen wir unsere Augen nicht verschließen. Diese jungen Menschen brauchen auf jeden Fall eine echte neue Perspektive und ein behütetes Umfeld.
Sie sprechen die Mehrheitsverhältnisse im Kreistag Görlitz bei dem der Kreis Görlitz die Entscheidung getroffen hatte bei 41 NEIN Stimmen und 22 Enthaltungen, kein „sicherer Hafen“ zu werden. Auch wenn es in Görlitz Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen gibt, so stellt sich psychologisch doch auch die Frage, ob und wann eine fundierte fachliche Betreuung für schwerst traumatisierte Kinder überhaupt gewährleitet werden kann.
Meines Erachtens bedarf es definitiv einer europäischen Lösung. Allerdings bedarf es genauso einer unmittelbaren Evakuierung humanitärer Notfälle und einer Umsiedlung in mehrere europäische Staaten, sowie einer unbürokratischen Zusammenführung von Familien. Ich persönlich werde dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen Fraktion im Bundestag aber nicht zustimmen. Mein SPD-Bundestagsfraktionskollege und Fachpolitiker Lars Castellucci hat vor einigen Tagen das Flüchtlingslager in Moria besucht und sich ein eigenes Bild von der Lage verschafft. Mir liegt sehr viel an einer Positionierung, die von der Union mitgetragen werden kann, um eine Mehrheit im Bundestag zu bekommen und schnell handeln zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Jurk, MdB