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Thomas Gambke
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Frage von Nico F. •

Frage an Thomas Gambke von Nico F. bezüglich Finanzen

SZ-Arikel 01.04.2014 von Claus Huverscheidt
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Sehr geehrter Herr Dr. Gambke,

laut Gutachten der bekannten Ökonomen Wolfgang Wiegard und Christoph Böhringer für das Bundesfinanzministerium zur Reform der Umsatzsteuer, geht hervor, dass eben bei dieser möglichen Reform exorbitant Geringverdiener gegenüber den Großkopferten zur Kasse gebeten werden sollen. Im Ergebnis sollen die Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuer-Reform Großteil durch den „kleine Mann“ getragen werden.

Im Bundestagswahlprogramm 2013 ihrer Partei „Zeit für den Grünen Wandel“ wird unter Ziff. D Seite 82 angegeben, dass Starke Schultern schaffen mehr als schwache: die grüne Einkommensteuer.
Im betreffendem SZ-Artikel heißt es, das der Grünen-Finanzexperte Thomas Gambke, also Sie, für die Umsatzsteuer - Reformvariante, mit erheblichen Mehrbelastungen für Geringverdiener plädieren.

Sehr geehrte Herr Gambke,
des Bundestagswahlkampf 2013 ist noch nicht lange her. Wie passt das zusammen, dass ihre Partei vor Wahl sich für die breite Masse der Bevölkerung stark machte und jetzt zu einer Steuerpolitik ruft, die selbst FDP erblassen lässt?

Gelten die ihre Vorgaben im Bundestagswahlprogramm 2013 nichts mehr?

Ist das alles über Bord geworfen worden?

Wieso wollen Sie nur noch Steuerpolitik für Reiche machen?

Ich danke Ihnen bereits jetzt schon für Ihre Antworten.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Frank,

ich erläutere die Sachlage etwas umfangreicher, denn das Thema ist etwas komplexer:

Im Grundsatz wirkt die Mehrwertsteuer regressiv, das heißt, sie belastet die Bezieher niedriger Einkommen höher als die Bezieher höherer Einkommen. Ganz grundsätzlich hat der Anstieg der sogenannten Verbrauchssteuern (und unter den Verbrauchssteuern hat die Mehrwertsteuer mit Abstand den größten Anteil) vor allem seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer höheren Belastung niedriger Einkommen geführt.

Im Interesse einer bürokratisch einfachen Lösung ist vielfach der einheitliche Mehrwertsteuersatz auf alle Leistungen vorgeschlagen worden, so auch in dem zitierten Gutachten. Dies würde aber eben niedrige Einkommen mehr belasten als höhere Einkommen. Aus diesem Grund haben wir Grünen vorgeschlagen, die wichtigen Bereiche Lebensmittel und Kulturgüter mit dem niedrigeren Mehrwertsteuersatz zu belasten, weil ein sozialer Ausgleich bei einem einheitlichen MwSt.-Satz kaum vernünftig organisiert werden kann. Für den ÖPNV haben wir dies auch vorgeschlagen, obwohl hier der soziale Ausgleich über vermehrte Zuschüsse an die Verkehrsträger auch anders organisiert werden könnte. Dies würde allerdings voraussetzen, dass Bund, Länder und Kommunen sich auf einen entsprechenden Ausgleich einigen. Die Erfahrung zeigt, dass dies aufgrund der Komplexität und der vielfältigen Eigeninteressen der einzelnen Gebietskörperschaften kaum passieren wird.

Wir Grünen haben also vorgeschlagen, diese drei Bereiche: Nahrungsmittel (mit Aufhebung mancher unsinniger Regelungen wie dem verminderten MwSt.-Satz für sog. "Außer-Haus-Umsatz") , Kultur und ÖPNV beim verminderten MwSt.-Satz zu belasten. Mit der entsprechend sozial positiven Wirkung.

Wenn wir vorgeschlagen haben, dass die anderen Regelungen zum verminderten MwSt.-Satz wie für Übernachtungen, Schnittblumen, Fast-Food oder Ski-Lifte aufgehoben werden, so hat dies in der Tat eine (geringe) negative soziale Wirkung. Denn diese Leistungen werden in sehr viel geringerem Umfang von den Beziehern niedriger Einkommen nachgefragt. Diese genannten Bereich mit vermindertem Mehrwertsteuersatz bedeuten aber jährlich sechs Milliarden Euro Einnahmeverluste für den Fiskus. Und sie stellen eine nicht gerechtfertigte Branchensubvention dar. Ganz besonders deutlich bei der soggenannten Hotelsteuer, also dem verminderten Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen. Unter Experten, auch der CSU, ist klar, dass es sich hier um ein Wahlgeschenk handelte. Die Beschäftigungsintensivste Branche wurde bewogen, CSU zu wählen.

Heben wir also den verminderten MwSt.-Satz für Produkte (z.B. Schnittblumen), Dienstleistungen (Übernachtungen) und Branchen (Skiliftbetreiber) auf, kann dieses Geld für die dringend erforderliche Finanzierung und den Ausbau von öffentlichen Einrichtungen verwendet werden. Diese Wohlstandsvermehrung kommt dann wieder überwiegend den Beziehern niedriger Einkommen zu Gute. (Nur ein Beispiel: Viele Bahnhöfe verfügen heute über keine Toilette und keinen beheizten Warteraum. Vor 50 Jahren war das anders. Wir haben hier also einen Wohlstandsverlust gerade für Menschen die auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind). Wenn wir das ändern wollen, wird Geld benötigt, dass zur Zeit nicht vorhanden ist. Bezüglich der maroden Infrastruktur wollte das die CSU ja mit einer PKW-Maut für Ausländer finanzieren. Aber bis dato gibt es keinerlei Vorschläge vom Verkehrsminister, Herrn Dobrindt (CSU). Investitionen in öffentliche Daseinsvorsorge hat eine deutlich soziale Komponente.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Darlegungen erläutern, warum meine Forderung nach einer Reform der Mehrwertsteuer nach unserem Vorschlag sozial gerechtfertigt ist und genau dem Anspruch und Ziel entspricht: Starke Schultern sollen mehr tragen. Wenn wir das im einzelnen im Bundeswahlprogramm nicht ausgeführt hatten, dann deshalb, weil die Erläuterung von den vielen konkreten Vorschlägen, mit den wir Grüne (und nur wir Grüne) unsere politischen Zielsetzungen umsetzen wollen, kaum Platz in einem Wahlprogramm gefunden hätten. Also: Wir handeln so, wie wir reden. Vor der Wahl und nach der Wahl.

Sollten Sie noch weitere Erläuterungen wünschen, schlage ich vor, dass Sie einmal zu einer meiner Veranstaltungen kommen. Dann können wir das Thema gerne noch einmal vertiefen. Die Termine von öffentlichen Veranstaltungen finden sie in meinem Newsletter, den Sie auf meiner Homepage lesen oder auch einfach und kostenfrei abonnieren können.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Gambke

http://www.t-gambke.de