Frage an Thomas Fischer von Irene B. bezüglich Bildung und Erziehung
Hallo Herr Fischer,
mich interessiert Ihre Meinung zum neuen Pflichtfach Ethik in den Schulen, von dem jetzt auch meine Tochter „betroffen“ ist. Ich zum Beispiel hätte es gern gesehen, wenn sie weiter Religion hätte besuchen können, jetzt aber liegt diese Unterrichtsstunde nachmittags nach einer Freistunde. Ich finde das nicht richtig, da sich meine Tochter dann doch für ihren Sportverein entscheidet, der fast zeitgleich beginnt. Meinen Sie, dass sich diese Entscheidung des Senats noch ändern lässt?
Vielen Dank vorab für Ihre Antwort
Irene Bacher
Sehr geehrte Frau Bacher,
offenbar ist es in Ihrem Falle tatsächlich zu einer Verdrängung des Faches Religionsunterricht in den Randbereich gekommen, die nun faktisch dazu führt, daß Ihre Tochter künftig am Religionsunterricht nicht mehr teilnehmen wird. Diese Befürchtung ist ja auch von den beiden Landeskirchen geäußert worden.
Sie fragen mich nach meiner persönlichen Meinung.
Einerseits - nach meiner Ansicht gibt es gerade in unserer von Vielfalt geprägten Stadt mit ihren vielen Religionsgemeinschaften ein wachsendes Bedürfnis zur Information und Wissens- und Wertevermittlung über religiöse und weltanschauliche Fragen, die die Einführung eines verbindlichen Lehrfachs an den Schulen rechtfertigt. Die Chancen für gegenseitiges Verständnis und Integration, die dieses Unterrichtsfach bietet, sind dabei nicht gering zu schätzen. (Leider drohen diese Chancen verspielt zu werden, wenn die Lehrkräfte hierfür wie vom Senat geplant, nur eine Schmalspurausbildung erhalten und zudem von den geplanten 1000 Lehrkräften gerade mal etwas über 400 im Einsatz sind.)
Andererseits – und damit zurück zu Ihrer Frage, der Religionsunterricht in Berlin findet bis heute aus historisch bedingten Gründen „nur“ als freiwillige Veranstaltung statt.
Spätestens seit der Wiedervereinigung Berlins kann direkt aus Artikel 7 des Grundgesetzes abgeleitet werden, daß der Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach anzubieten ist. Meines Erachtens ist es nach der Einführung von „Ethik“ schon aus Gründen der Gleichbehandlung zwingend geboten, auch „Religion“ als verpflichtendes Unterrichtsfach an den Berliner Schulen zu etablieren. Ferner kann aus der weltanschaulichen Neutralitätspflicht des Staates (Art. 4 GG) abgeleitet werden, den betroffenen Eltern und Schülern die freie Wahl zwischen einem dieser beiden Unterrichtsfächer zu belassen. Wiederum spricht vieles dafür, daß Schüler beide Unterrichtsfächer besuchen, weil sie sich im Idealfall ergänzen und somit nicht in sich ausschließender Konkurrenz zueinander stehen.
Ich fürchte nur, dass diese Konzeption Ihnen im Augenblick nicht weiterhilft. Die Entscheidung des Senats bzw. hier die des Abgeordnetenhauses (durch Änderung des Schulgesetzes) würde sich nur durch ein neues Gesetzgebungsverfahren aufheben lassen. Dafür werden natürlich entsprechende Mehrheiten benötigt und ob diese nach der Wahl am 17. September tatsächlich bereit stünden, kann ich nicht einschätzen. Wie Sie außerdem der Presse entnehmen konnten, sind bereits einige Berliner Eltern und Schüler zunächst vor dem Berliner Verwaltungsgericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gescheitert, ihre Kinder vom Ethik-Unterricht befreien zu lassen.
Ich persönlich würde meine Möglichkeiten über die Elternvertreter und die Gesamtelternvertretung sowie über die Schulkonferenzen nutzen wollen, um auf eine Änderung des Stundenplanes im Sinne Ihrer Tochter hinzuwirken. Ich glaube einfach, daß dieses Thema im Augenblick sehr sensibel in den entsprechenden Gremien diskutiert werden kann.
Sie sehen mich also und abschließend im Zustand einer gewissen Ratlosigkeit. Ich möchte für die Gleichberechtigung beider Schulfächer plädieren. Aber – Sie hatten mich nach meiner Meinung gefragt und ich hoffe, Ihnen diese ausreichend dargelegt zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Fischer