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Thomas Feist
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Frage von Rene U. •

Frage an Thomas Feist von Rene U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Herr Dr. Feist,

Ich habe in den letzten Jahren immer größere Zweifel, dass mitbestimmende Bürger und nun auch mittlerweile autonome Nationalstaaten, die ihre Entscheidungen selber treffen erwünscht sind.
(Bsp.: Glühbirnenverbot, Zulassung von GVO´s, ESM und Fiskalpakt)

Nun gibt es sicherlich Argumente, die die Einzelbeispiele entkräften können, daher zitiere ich, bzw. zitiere die zitierende Quelle, ihren Parteikollegen Dr. Schäuble:

„Das war die alte Ordnung, die dem Völkerrecht noch zugrunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist, spätestens seit den zwei Weltkriegen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.”

und weiter....

„Und deswegen ist der Versuch in der europäischen Einigung eine neue Form der Governance zu schaffen, wo es eben nicht eine Ebene [gibt], die dann nicht für alles zuständig ist und die dann im Zweifel durch völkerrechtliche Verträge bestimmte Dinge auf andere überträgt, nach meiner festen Überzeugung für das 21.Jahrhundert ein sehr viel zukunftsweisender Ansatz, als der Rückfall in die Regelungsmonopol-Stellung des klassischen Nationalstaates vergangener Jahrhunderte.““

(Quelle: http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2011/11/32894/ )
Lässt sich auch im Original als Aufzeichnung (youtube) finden und damit bestätigen.

Damit wird klar ausgedrückt, dass es unerwünscht ist, dass nationale Parlamente noch wichtige Entscheidungen treffen. Stattdessen soll ein EU-Parlament regieren, welches allerdings demokratisch in keinster Weise legitimiert ist.

Was halten Sie von dieser Form der, wie ich es nennen würde, EU-Diktatur, wie sie sukzessive eingeführt wird über Lissabon-Vertrag u.ä.?

Meine Meinung teilen viele Menschen und sowie Fachleute wie Dirk Müller, welchen man das Fachwissen nicht absprechen kann.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Urbanski,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich kann Ihre Sorge gut verstehen, sprechen doch einige der von Ihnen angesprochenen Punkte für eine übermäßige Verlagerung von nationalen Kompetenzen auf europäische Ebene.

Ich kann Ihnen aber versichern, für mich und die gesamte Unionsfamilie von CDU und CSU gilt folgender Grundsatz: Die Abgabe von Souveränität an die Europäische Union ist kein Allheilmittel nach dem Motto „Brüssel wird’s schon richten." Für mich ist es unsere Kultur, die unserer Gesellschaft ihr Antlitz verleiht, sind die Nationalstaaten und die Identität ihrer Völker prägende Bestandteile eines Europas der Einheit in Vielfalt. Ich will kein zentralistisch organisiertes und regiertes Europa. Daher trete ich für die Grundsätze der regionalen und lokalen Selbstverwaltung sowie der Subsidiarität ein.

Eine Abschaffung beispielsweise der sozialen Sicherungssysteme (Gesetzliche Kranken-, Renten, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungen sowie Hilfe zum Lebensunterhalt) zugunsten europäischer sozialer Sicherungssysteme lehnen wir allerdings ab, da dies die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland berühren würde.

Auch Maßnahmen, die der Europäischen Union eigene Kompetenzen zur Steuererhebung oder zur öffentlichen Kreditaufnahme übertragen würden, lehnen CDU und CSU ab. Bekäme die Europäische Union eine eigene Steuererhebungskompetenz, könnte nicht gewährleistet werden, dass die Belastung der Bürgerinnen und Bürger nicht steigt. Außerdem muss das Haushaltsrecht das Königsrecht der nationalen Parlamente bleiben.

Allerdings gibt es viele Bereiche, etwa der Binnenmarkt, freier Reise- und Tourismusverkehr, und Landwirtschaft, bei denen eine europäische Zusammenarbeit und Koordination für alle von Vorteil sein kann. Die globalen Wirtschaftsbeziehungen sowie die Folgen der europäischen Staatsschuldenkrise beispielsweise haben weitreichende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland in Europa. Nach Auffassung von CDU und CSU können wir den erworbenen Wohlstand nur dann sichern und weiter ausbauen, wenn Europa ein wettbewerbsfähiger Kontinent bleibt, der sich an den weltweit Besten orientiert. Deshalb kämpfen wir für eine starke und wettbewerbsfähige Europäische Union, die gestärkt aus der Staatsschuldenkrise herauskommt. Dafür wollen CDU und CSU in den kommenden vier Jahren weiter die Weichen richtig stellen. Hierzu wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass die Stärkung und Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Grundlage für Beschäftigung, soziale Sicherheit und Zukunftsfähigkeit Kern unseres Handelns auf allen Ebenen ist. Gemeinsam können wir Europäer dann auch weiterhin unseren Beitrag zur Lösung der großen globalen Herausforderungen leisten. Unabhängig vom ökonomischen Nutzen ist die europäische Integration politisch grundsätzlich unverzichtbar. Mit der Europäischen Union haben wir auf dem Kontinent Europa etwas erreicht, was noch vor nicht allzu langer Zeit unvorstellbar war: Frieden und Wohlstand. Auch wenn es heute für uns selbstverständlich erscheint, kann man diesen wichtigen Punkt nicht oft genug hervorheben. Mit der Europäischen Union ist es uns gelungen Nationalstaaten, die lange und oft im Streit und auch Krieg miteinander waren, zu einer friedlichen Union zusammen zu schließen. Eine kriegerische militärische Auseinandersetzung ist heute in Europa undenkbar. Das ist die eigentliche Leistung Europas.

Es ist ja auch nicht so, dass das Europaparlament nicht demokratisch legitimiert wäre. Alle fünf Jahre- nächstes Jahr ist es wieder soweit - entscheiden die Bürger der Mitgliedsstaaten über die Zusammensetzung des Parlamentes. Deutschland entsendet 96 Abgeordnete. Damit hat das Europäische Parlament tatsächlich eine sehr breite Legitimation. An dieser Stelle muss ich für meine Kollegen in Brüssel auch einmal eine Lanze brechen und sie gegen übermäßige Kritik verteidigen: In den letzten Jahren hat sich das Parlament viele Rechte und auch Pflichten erstritten und oft als notwendiges Korrektiv gegen die Kommission und die Mitgliedstaaten im Rat vertreten.

Auch dieser Rat der Europäischen Union ist ja über die entsandten Regierungsvertreter der jeweiligen Länder zumindest mittelbar demokratisch legitimiert. Die Bundesregierung ist auch immer an die sie tragende Koalition gebunden, die wiederum alle vier Jahre gewählt wird.

Sicher, den politischen Parteien in Europa, die zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und somit zum Ausdruck des Willens der Bürger der Europäischen Union beitragen, kommt eine besondere Bedeutung zu, die sie noch besser ausfüllen müssen. Sie müssen einen Beitrag dafür leisten, eine breite europäische Öffentlichkeit, z. B. durch eine stärkere Personalisierung der europäischen Politik, herzustellen.

Lassen Sie mich auch noch zum ESM Stellung nehmen. Immer wieder wurde in dem behauptet, dass wir mit dem ESM die Verantwortung für unsere nationalen Haushalte aus der Hand geben. Diese Behauptung ist falsch und wird auch durch noch so viele Wiederholungen nicht richtig. Sie muss daher immer wieder mit Entschiedenheit und den richtigen Sachargumenten zurückgewiesen werden.

Fakt ist: Alle wesentlichen Entscheidungen, die der ESM treffen kann, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, müssen einstimmig durch den Gouverneursrat des ESM getroffen werden. Deutschland verfügt über seinen Vertreter im Gouverneursrat dabei bei allen wichtigen Entscheidungen des ESM über ein Vetorecht. Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz wurde dieses Vetorecht dem Deutschen Bundestag übertragen, indem dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat ein umfangreicher Parlamentsvorbehalt vorgeschaltet wurde. Hat der Vertreter kein Votum des Bundestages, so muss er mit Nein stimmen.

Aufgrund der im Gesetzgebungsverfahren bewusst verankerten Regelung muss das Plenum des Deutschen Bundestages immer dann vorher zustimmen, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das ist insbesondere bei Entscheidungen über neue Hilfsprogramme der Fall oder auch bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Programmen. Der Haushaltsausschuss begleitet die Umsetzung der Programme. Seine Zustimmung ist z. B. dann notwendig, wenn die Bedingungen von Hilfsprogrammen geändert werden sollen, auch wenn das Volumen des Hilfspaketes unverändert bleibt. Zudem ist er vor Auszahlungen einzelner Tranchen bereits genehmigter Programme zu beteiligen.

Zumindest die Deutschen können mit Europa und dem Euro offensichtlich ganz gut leben: Eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew ist im Mai diesen Jahres zu dem Ergebnis gekommen, dass 60 Prozent der Deutschen an Europa glauben und einer Kompetenzübertragung an Brüssel zustimmen. Einer anderen Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2012 zu Folge sind 50 Prozent der Bundesbürger mit dem demokratischen System der europäischen Union zufrieden. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im April diesen Jahres sind 69 Prozent der Deutschen dafür, den Euro zu behalten, während 27 Prozent die D-Mark zurück wollen. Diese Einschätzung bestätigt eine aktuelle Umfrage des Deutschlandtrends der ARD von Anfang August. Demnach erklären 76 Prozent der Bevölkerung, dass sie ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut einschätzen. Dieser hohe Wert wurde in der Geschichte der Bundesrepublik nur einmal gemessen, nämlich 1998. Insgesamt sind die Deutschen mit ihrem Land zufrieden. Laut Glücksatlas 2012 liegt der Zufriedenheitswert bei 7,0 Punkten. Gemessen wurde auf einer Skala von null, "ganz und gar unzufrieden", bis zehn, "ganz und gar zufrieden". Deutschland klettert in Sachen Lebenszufriedenheit damit von Platz 15 (2006) auf Platz 9 (2011) unter den europäischen Nachbarn.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Thomas Feist