Frage an Sylvia Löhrmann von Lucia K. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Löhrmann,
im Dezember 2010 hat der Landtag ohne Gegenstimmen einen Antrag aller Fraktionen zum Aufbau eines "inklusiven" Schulsystems verabschiedet.
Eckpunkte zur Umsetzung der Inklusion werden gegenwärtig in einer Projektgruppe in Ihrem Ministerium erarbeitet; bzw. erfolgt die Umsetzung bereits in Abstimmung mit den jeweiligen Schulen z. B. in Form des gemeinsamen Unterrichts oder durch sog. Nachteilsausgleich. Mit diesen Maßnahmen des Ausgleichs wird dem Schüler entsprechend seiner individuellen Schwäche Hilfestellung gewährt.
Der Nachteilsausgleich hat sich meines Erachtens bisher als sehr erfolgreiches Instrument erwiesen. Vielen Schülern, so auch meinem jetzt 15-jährige Sohn mit auditiver Wahrnehmungsstörung und Legasthenie, der die 9 Klasse des Gymnasiums besucht, ermöglichte die Maßnahme, dass er wegen seiner ansonsten vorhandenen schulischen Stärken, die angemessene Schullaufbahn fortführen konnte.
Der Nachteilsausgleich in Form der "Notenbefreiung für Rechtschreibung" soll nach gegenwärtiger Erlasslage ab der Oberstufe nicht mehr gelten. Für die betroffenen Schüler hat dies zur Folge, dass ihr schulisches Fortkommen abrupt behindert wird - also eigentlich das Gegenteil von dem, was mit der Inklusionsidee erzielt werden soll.
Wenn Sie auch der Ansicht sind, dass hier eine Korrektur dieser gegenwärtig gültigen Regelung sinnvoll ist, so wäre ich froh, wenn Sie sich im Bereich der Schulpolitik dieser Sache annehmen würden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Lucia Klaßen
Sehr geehrte Frau Klaßen,
vielen Dank für Ihre Frage und das mir entgegengebrachte Vertrauen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass eine Stellungnahme zu der von Ihnen geschilderten Problematik einige Zeit in Anspruch genommen hat. Erlauben Sie mir auch die Anmerkung, dass für solcherlei Fragen, die sehr fachspezifische Regelungen betreffen, möglicherweise eine Plattform wie Abgeordnetenwatch nicht das geeignete Medium ist. Hier geht es um Rechtsfragen, die zum Teil auf der Ebene der Kultusministerkonferenz abgestimmt sind. Der Sachstand ist wie folgt:
Dem Wunsch von Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe sowie auch deren Eltern auf Ausweitung des LRS-Erlasses vom 19.07.1991 über die bestehenden Regelungen hinaus kann aus den folgenden Gründen nicht entsprochen werden: Der Regelfall ist, dass Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines mehrjährigen Förder- und Entwicklungsprozesses spätestens bis zum Ende der Sekundarstufe I Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten ausgeglichen haben.
Bei schweren und erneut nachgewiesenen Rechtschreibschwierigkeiten in der gymnasialen Oberstufe muss ein Nachteilsausgleich gemäß § 13 Absatz 7 APO-GOSt bereits innerhalb der Einführungsphase erfolgen. In ganz besonderen Ausnahmefällen von schwerer LRS (Lese-Rechtschreib-Schwäche) kann ein Nachteilsausgleich in der Qualifikationsphase durch die Schulleitung gewährt werden, damit dieser auch für die Abiturprüfung von der Schule beantragt und von der zuständigen Bezirksregierung geprüft und genehmigt wird. Dabei ist wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Abschluss relevanten Prüfungen eine Relativierung in der Notengebung ausgeschlossen.
Der Nachteilsausgleich bezieht sich nur auf die äußeren Prüfungsbedingungen. Im Zusammenhang mit LRS kann z.B. eine Zeitverlängerung gewährt werden, die aber den durchgängig erfolgten Nachteilsausgleich während des gesamten Bildungsgangs der gymnasialen Oberstufe zur Voraussetzung hat.
In der gymnasialen Oberstufe sind die Anforderungen an die sprachliche Richtigkeit in der deutschen Sprache eigenständig zu erfüllen. Verstöße sind gemäß § 13 Abs. 2 APO-GOST angemessen zu berücksichtigen.
Die grundlegende Kompetenz, die Normen der deutschen Schriftsprache zu kennen und sicher anwenden zu können, gehört auch in der gymnasialen Oberstufe mit zum Beurteilungsbereich schriftlicher Leistungsüberprüfungen. Allerdings bildet die inhaltliche und strukturelle Qualität der erbrachten fachlichen Leistungen den Schwerpunkt der abschließenden Bewertung und das „richtige Schreiben“ erfährt dabei eine anteilig angemessene Berücksichtigung.
Ob im Rahmen der Ausgestaltung der Inklusion bundesweit noch Änderungen erfolgen werden, ist derzeit nicht abzusehen.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann (MdL)