Frage an Sylvia Löhrmann von Frank P. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Löhrmann,
heute hat unsere engagierte örtliche Schulleiterin auf einer Sitzung mitgeteilt, dass die verantwortliche Schulrätin (Frau Dr. Walburga Henry) möchte, dass mein Sohn in eine erste Klasse geht, welche gesamt 30 Schüler zählt.
§ 8 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG sagt im ersten Satz, dass die Relationen „Schüler je Stelle“ betragen nach Maßgabe des Haushalts: 23,42.
Wir sprechen in diesem Fall über 115 Schüler, wobei 2 Schüler integrativer Förderung bedürfen.
Wenn ich dies gem. der VO berechne, so komme ich auf 4,9 Klassen (ohne Einbeziehung der integrativen Förderung).
Die Schulrätin von Coesfeld möchte aber nur 4 Klassen zulassen. Laut der Verordnung fehlt hier eine Klasse, bzw. eine Lehrkraft.
Auf Ihrer Website sprechen Sie von starker Bildung für ein starkes Land.
http://sylvia-loehrmann.de/politisch/wissensgesellschaft/
Wie passt dies zusammen? Bitte sagen Sie mir nicht, dass es einen Spielraum bis zu 30 Kinder pro Klasse gibt. Das wäre hier der maximal rechtlich erlaubte Rahmen, welcher bekanntlich bei 18 Schüler pro Klasse startet. Starke Bildung ist es bestimmt nicht, wenn es nur darum geht möglichst viele Kinder von möglichst wenig Lehrern unterrichten zu lassen.
Lassen Sie Ihrem Versprechen Taten folgen und greifen hier ein! Sie wurden gewählt, damit Kinder nicht mit 30 anderen in eine erste Klasse gehen müssen! Sie wissen, dass kleine Klassen die richtige Lösung sind.
Es ist Ihre Verantwortung, dass hier die Kinder von Havixbeck eine faire Chance in den Schulstart bekommen.
Ich freue mich sehr auf Ihre Rückmeldung!
Mit freundlichen Grüßen
Frank Püttmann
Sehr geehrter Herr Püttmann,
vielen Dank für Ihre Frage und für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Insbesondere freue ich mich darüber, dass Sie auf meiner Internetseite nachgelesen haben. Seien Sie versichert, dass ich zu den dort formulierten Zielen stehe. Die Landesregierung arbeitet darüber hinaus Schritt für Schritt die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele ab (vgl. http://sylvia-loehrmann.de/wp-content/uploads/2010/07/Koalitionsvertrag_Endfassung_06_07_2010_mit_Deckblatt.pdf).
Erste wichtige Schritte zur Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit sind bereits z.B. mit der Abschaffung der Studiengebühren und der ersten Stufe der Revision des Kinderbildungsgesetzes getan worden.
Was meinen Zuständigkeitsbereich angeht, so haben wir unmittelbar nach Regierungsübernahme mit dem 4. Schulrechtsänderungsgesetz einige Irrtümer in der schwarz-gelben Schulpolitik korrigiert. Die Kopfnoten und die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung zum Besuch der weiterführenden Schule wurden abgeschafft. Mit der Wiedereinführung der Drittelparität in den Schulkonferenzen wird die schulische Demokratie gestärkt. Um hier nicht alles anzuführen, verweise ich auf eine erste Zwischenbilanz nach 10 Monaten rot-grüner Minderheitsregierung in NRW, die Sie hier nachlesen können: http://www.gruene.landtag.nrw.de/cms/default/dokbin/381/381825.warum_das_wagnis_richtig_war_ein_zwische.pdf.
Zu dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt zur Grundschule in Havixbeck, wo bei mehr als 115 Anmeldungen vier Eingangsklassen mit bis zu 30 Schülerinnen und Schülern gebildet werden sollen, möchte ich Ihnen die aktuell geltenden Vorgaben zur Klassenbildung zitieren:
Die für die Klassengröße maßgeblichen Klassenfrequenzricht- und -höchstwerte sind in § 6 der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG (VO zu § 93 Abs. 2 SchulG) geregelt. Für die Grundschule sieht § 6 Abs. 4 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG die Bildung von Klassen innerhalb einer Bandbreite von 18 bis 30 Schülerinnen und Schülern vor. Die von Ihnen geschilderte Eingangsklassenbildung liegt somit zwar am oberen Rand, aber nicht außerhalb der derzeit gültigen Rechtsvorgaben.
Zwar wäre mit einer Schülerzahl von 115 auch die Einrichtung von fünf Parallelklassen innerhalb oben genannter Bandbreite rechnerisch möglich. Diese Variante ließe jedoch die Vorgabe des § 6 Abs. 2 Satz 1 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG außer Acht, wonach die Zahl der Schülerinnen und Schüler einer Klasse den Klassenfrequenzrichtwert, der für die Grundschule bei 24 liegt, nicht unterschreiten soll.
Es ist nachvollziehbar, wenn Eltern für ihre Kinder die Bildung von möglichst kleinen Klassen befürworten. Allerdings haben die für die Klassenbildung Verantwortlichen auch die Einhaltung der in den Stundentafeln vorgeschriebenen Wochenstundenzahlen in den Blick zu nehmen. Der Lehrerwochenstundenbedarf steigt bekanntlich mit der Anzahl der Klassen. Demgegenüber richtet sich die Anzahl der Lehrerstellen je Schule gemäß der Relation "Schüler je Stelle" nach der Schüler- und nicht nach der Klassenzahl.
Die Bildung einer großen Anzahl von Klassen mit deutlich unterhalb des Klassenfrequenzrichtwertes liegenden Schülerzahlen würde somit häufig bereits bei einem - z.B. krankheitsbedingten - Ausfall einer Lehrkraft zu erheblichen Problemen bei der Sicherung der Unterrichtsversorgung führen. Zudem darf nicht verkannt werden, dass die Einrichtung relativ großer Klassen der Schule mehr Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung einräumt. Wie mir zwischenzeitlich durch das Schulamt für den Kreis Coesfeld berichtet wurde, ist eine solche Differenzierung für das kommende erste Schuljahr an der von Ihrem Sohn künftig besuchten Schule in Form von Differenzierungsangeboten auch vorgesehen.
Perspektivisches Ziel der neuen Landesregierung ist es aber, das nordrhein-westfälische Schulsystem so auszugestalten, dass es den Anforderungen der Zukunft gerecht wird und bestmögliche Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen bietet. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Landesregierung entschieden, die durch den Rückgang der Schülerzahlen bis zum Jahre 2015 entstehenden demographischen Effekte im System Schule zu belassen und diese gezielt für die Qualitätsentwicklung, für pädagogische Innovationen und zur Verbesserung der Unterrichtssituation einzusetzen. Die Landesregierung beabsichtigt, mit der Verwendung der demographischen Effekte deutliche bildungspolitische Prioritäten zu setzen und diese im Rahmen einer fundierten Ressourcenplanung unter Berücksichtigung von bildungspolitischen Prioritätensetzungen und sozialräumlichen Gegebenheiten möglichst effizient einzusetzen.
Bei diesen Überlegungen spielt auch das Thema "kleinere Lerngruppen" sowohl an Grundschulen als auch an den anderen Schulformen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus müssen auch andere bedeutsame bildungspolitische Vorhaben wie beispielsweise der Ausbau des Ganztags in allen Schulformen, mehr Leitungszeit für Schulleitungen, Umsetzung der inklusiven Beschulung von behinderten und nicht behinderten Kindern und längeres gemeinsames Lernen berücksichtigt werden. Ich bitte jedoch um Verständnis dafür, dass derzeit noch keine konkreten Entscheidungen über die Umsetzung getroffen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann MdL