Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Florian W. bezüglich Finanzen
Guten Abend,
wie gedenken Sie persönlich die anstehenden Aufgaben in der Politik hinsichtlich Generationsgerechtigkeit lösen zu wollen?
Einerseits stehen in vielen Bereichen dringende Investitionen in Umweltschutz, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und Rente an. Des weiteren ist die BRD aufgrund diverser Mitgliedschaften UNO (Entwicklungshilfe), EU (EU-Haushalt simultan Länderfinanzausgleich), Nato (z.B. Invest 2% BIP),... zu gewissen SOLL-Finanzierungen verpflichtet.
Andererseits drohen der BRD mit kippen der Alterspyramide in einigen Jahren zusätzliche Bürden durch Finanzierung hinsichtlich zunehmender Zahlungen im Bereich der Rente, Gesundheit,... und die allgemeine Staatsverschuldung.
Wie sieht hier Ihr Plan auch über 2030 hinaus aus, ohne die heutigen und zukünftigen jungen Generationen zu sehr auch hinsichtlich der durch den Bürger zu erbingenden Eigenvorsorge zu sehr einzuschnüren?
In welchen Bereichen kann Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren etwas kürzer getreten werden, um eine realistische Finanzierung der Projekte, ohne Außerachtlassung unserer internationalen Verpflichtungen, gewährleisten zu können?
Sehr geehrter Herr W.,
„wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Das galt bei Gründung der Grünen und leitet uns noch heute.
Da die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre gerade im Zenit ihrer Arbeitskarriere stehen, steht von 2020 bis 2035 eine gravierende Verschiebung des Verhältnisses zwischen Erwerbsfähigen und RuheständlerInnen bevor.
Das heutige, gegenüber dem Jahr 1998 bereits erheblich abgesenkte, Rentenniveau sollte nicht weiter fallen. Dabei müssen Rentenniveau und Beitragssatz in einem angemessenen Verhältnis stehen, sodass auch die junge Generation weiter in die gesetzliche Rente vertrauen kann. Meine Bundestagsfraktion und ich setzen auf einen abgestimmten Dreiklang - aus einer starken Rentenversicherung mit stabilisiertem Rentenniveau, einer flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung und einer dritten Säule, die eine faire und transparente private Altersvorsorge ermöglicht. So verbessern wir die Vorsorge für das Alter und ermöglichen bereits während des Arbeitens, ausreichende Rentenansprüche aufzubauen. Für langjährig Versicherte wollen wir eine Garantierente einführen, die ein Mindestniveau in der Rente gewährleistet. Damit die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft tragfähig finanziert ist, wollen wir sie zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln. Mittelfristig sollen alle Bürgerinnen und Bürger, das heißt auch Selbständige, Abgeordnete sowie Beamtinnen und Beamte, in die Rentenversicherung einzahlen.
Frauen sind aufgrund einer gewaltigen Rentenlücke von durchschnittlich 59 % wesentlich häufiger von Altersarmut betroffen sind als Männer. Deshalb sollen Frauen sich eine eigenständige Existenzsicherung aufbauen und sich beruflich so verwirklichen können, wie sie es wünschen. Wenn Frauen in größerem Umfang erwerbstätig sind und Männer ihre Arbeitszeit phasenweise reduzieren können, wird die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern allmählich abgebaut. Das Ehegattensplitting steht diesen Zielen im Weg und fördert die Alleinverdiener-Ehe. Bei Scheidung oder Tod des Partners rutschen so vor allem Frauen in die Armutsfalle. Deshalb soll das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Zu einem bestimmten Stichtag soll es für alle neu geschlossenen Ehen nicht mehr gelten und durch eine individuelle Besteuerung mit gezielter Förderung von Familien mit Kindern und Alleinerziehenden ersetzt werden. Damit es sich lohnt, mehr als nur geringfügig, in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen zu arbeiten, wollen meine Bundestagsfraktion und ich den gesamten Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung zurückdrängen, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln, eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung und berufliche Wiedereinstiegshilfen einführen. Weniger Abhängigkeiten und mehr Selbstbestimmung für alle ermöglichen wir durch ein Entgeltgleichheitsgesetz und ein Rückkehrrecht auf Vollzeit.
Trotz aller rechtlichen Änderungen in den letzten Jahren zieht Deutschland nach wie vor zu wenige Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland. Meine Fraktion und ich wollen daher das traditionell nachfrageorientierte Arbeitsmigrationsrecht durch eine angebotsorientiertes Einwanderungsportal ergänzen und ein Punktesystem einführen: Gut qualifizierte Fachkräfte sollen so die Chance zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland erhalten. Bildungsmigration soll zu einem echten migrationspolitischen Schwerpunkt ausgebaut, das neue deutsche Einwanderungsrecht sinnvoll in das europäische Recht eingebettet und entwicklungspolitisch nachhaltig ausgestaltet werden. Einwanderung wollen wir mit einem modernen Einwanderungsgesetz regeln.
Die meisten Menschen sind im Durchschnitt deutlich länger fit und gesund. Jahrzehntelang wurden ältere Beschäftigte innerbetrieblich aufs Abstellgleis verschoben, bei Neueinstellungen diskriminiert und durch eine Frühverrentungspraxis aus dem Arbeitsleben gedrängt. Meine Bundestagsfraktion und ich möchten stattdessen gleichberechtigte Beschäftigte, egal wie alt sie sind. Wenn die Gesundheit mitspielt, bedeutet ein längeres Erwerbsleben mit flexiblen Übergängen in den Ruhestand für viele eine Chance auf ein erfüllteres Leben. Bei Neueinstellungen darf das Alter in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Auch Unternehmen profitieren: Die Arbeitskraft und die Kompetenzen Älterer sind unverzichtbar. Jedes moderne Unternehmen, das auf Vielfalt setzt, kommt nicht ohne einen guten Alters-Mix aus. Um jedoch bis zum Ruhestand gesund und zufrieden arbeiten zu können, muss Arbeiten von Anfang an alterns- und altersgerecht gestaltet sein.
Meine Fraktion ich und wollen eine Million Langzeitarbeitslose nicht einfach zurücklassen sondern ihnen neue Perspektiven eröffnen. Nicht die rasche und häufig nur kurzfristige, sondern die nachhaltige Vermittlung in Arbeit gehört in den Fokus der Arbeitsförderung. Notwendig sind dafür, neben personell und finanziell gut ausgestatteten Arbeitsagenturen und Jobcentern, vor allem mehr Qualifizierungsangebote. Mit Aus-, Fort- und Weiterbildungen in nachgefragten Berufen können vormals Arbeitslose erfolgreicher am Arbeitsmarkt bestehen. Rahmenbedingungen für mehr alterns- und altersgerechtere Arbeitsplätze zu schaffen, die ein gutes Arbeiten bis zur Rente ermöglichen.
Der demografische Wandel verlangt Politik mit Weitsicht. Immer wieder muss aufs Neue überprüft werden, welche Folgen Politik von heute für die Gesellschaft von morgen hat und welche Aufgaben sich daraus für die Politik schon heute ableiten. Damit dies nachhaltig gelingt, braucht es eine oder einen Demografiebeauftragte/n im Bundeskanzleramt, der oder die die ressortübergreifende Steuerung der Demografiestrategie der Fachministerien koordinert.
Meine Bundestagsfraktion und ich kämpfen für Nachhaltigkeit, dies gilt auch im Bereich der Haushaltspolitik. Die Grünen Vorschläge im Wahlprogramm sind gegenfinanziert. So wollen wir entschlossen im Haushalt umschichten, Sinnloses streichen, umweltschädliche Subventionen abbauen und Einnahmen gerecht verbessern. Damit schaffen wir Spielräume z. B. für mehr Investitionen, auch ohne neue Schulden aufzunehmen. Über 50 Mrd. Euro bezahlen wir Jahr für Jahr für umweltschädliche Subventionen. Davon wollen wir in den nächsten vier Jahren 12 Mrd. Euro abbauen, so zum Beispiel die Subventionierung schwerer Dienstwagen oder Privilegien beim Diesel. Die freiwerdenden Mittel sollen kräftig und wirksam in den Klimaschutz investiert werden. Die Union verspricht Steuersenkungen, die sich weitgehend aus den Überschüssen der Finanzplanung speisen. Meine Fraktion und ich wollen stattdessen entschlossen in die soziale Infrastruktur investieren. Die Bundesregierung hat beschlossen, in den kommenden vier Jahr den Verteidigungsetat massiv zu erhöhen, während die Gelder für Entwicklung und Krisenprävention sinken. Im Jahr 2021 wird der Verteidigungsetat mehr als 5 Mrd. Euro über dem Ansatz von 2017 liegen. Wir fordern eine friedliche Außenpolitik und wollen Entwicklungszusammenarbeit, die humanitäre Hilfe und das Auswärtige Amt deutlich stärker finanzieren, statt die Aufrüstungsspirale zu befeuern.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl