Frage an Swen Schulz von Winfried K. bezüglich Soziale Sicherung
Verehrter Herr Schulz !
Solange ich denken kann habe ich eigentlich immer die SPD gewählt. Inzwischen frage ich mich allerdings, welche Klientel die SPD vertritt - meine ja wohl nicht mehr.
Die SPD hat gegen die Wiedereinführung der Pendlerpauschale gestimmt, für die Einführung des BKA-(Bespitzelung)-Gesetzes, für die Vorratsdatenspeicherung, für die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, für die Märchensteuererhöhung usw. usw.
Frage: Gibt es irgend ein Gesetz, welches die SPD in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, welches meine Situation (kleiner Angestellter, mit entsprechendem Verdienst) in irgend einer Weise verbessert ?
mit freundlichen Grüßen
W. Kauper
Sehr geehrter Herr Kauper,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihr jahrelanges Vertrauen in die Sozialdemokraten.
Ihre Enttäuschung über gewisse Entscheidungen der SPD in der Vergangenheit kann ich nachvollziehen – zumindest teilweise. Die SPD und die CDU/CSU sind mit unterschiedlichen Konzepten und Forderungen in den letzten Wahlkampf gegangen. Wir Sozialdemokraten haben zum Beispiel ein gerechtes Steuersystem gefordert, die längst überfällige solidarische Erneuerung des Gesundheitssystems vorangetrieben und Konzepte für ein Bildungssystem vorgelegt, das Chancengleichheit und eine exzellente Bildung für unsere Kinder garantieren soll.
In der großen Koalition stehen sich nun seit 2005 die unterschiedlichen Ansichten und Schwerpunkte der Koalitionsparteien gegenüber. Wir als SPD mussten in der großen Koalition für uns zum Teil schmerzliche Entscheidungen mittragen, um wichtige andere Projekte durchsetzen zu können. Auch ich würde mir eine andere Regierungsmehrheit wünschen.
Dennoch haben wir als SPD in den letzten zehn Jahren unserer Regierungsbeteiligung viele Erfolge erzielen können, die für alle Bürgerinnen und Bürger Verbesserungen gebracht haben.
Beispiel Familienpolitik:
Nach 16 Kohl-Jahren war es Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik. Wir Sozialdemokraten stellten uns die Frage: Was brauchen Familien wirklich? Wir kamen zu dem Ergebnis: Sie brauchen Zeit, Geld und eine gesicherte Kinderbetreuung. Deswegen haben wir einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchgesetzt. Dafür haben wir die Anzahl der Betreuungsplätze massiv ausgebaut, bis 2013 werden wir sie verdreifacht haben. Der Ausbau der Kita-Plätze ist für uns eine Frage der Chancengleichheit. Und zwar für Kinder und für Eltern! Seit 2006 werden Kinderbetreuungskosten stärker steuerlich berücksichtigt. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rente und in der Riester Rente stärker berücksichtigt werden. Mit dem Recht auf Teilzeitarbeit haben wir für familienfreundlichere Arbeitsbedingungen gesorgt. Initiativen wie „Lokale Bündnisse für Familie“ haben dafür gesorgt, dass sich Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz nun auch zunehmend in der Wirtschaft durchsetzt. Mit dem Elterngeld haben wir echte Wahlfreiheit für Familien geschaffen. Im ersten Erziehungsjahr werden durch das Elterngeld 67 Prozent (maximal 1800,00 Euro) des bisherigen Nettoeinkommens abgedeckt, um sich den Kinderwunsch ohne Sorge vor großen finanziellen Einbußen erfüllen zu können. Zum 1. Januar 2002 hatten wir zum dritten Mal innerhalb unserer Regierungszeit das Kindergeld erhöht. Familien erhielten danach schon rund 37 Prozent mehr Kindergeld als vor unserem Regierungsantritt. Erst im Dezember 2008 gab es eine erneute Erhöhung des Kindergeldes im Rahmen des Familienleistungsgesetzes.
Beispiel Arbeitspolitik:
Wir haben die Wende auf dem Arbeitsmarkt geschafft. Nur ein Beispiel sind die älteren Arbeitslosen: Von 1998 bis 2006 sind unter sozialdemokratischen Arbeitsministern 1,4 Millionen Menschen über 50 Jahre mehr in Arbeit vermittelt worden als vorher. Mit der Initiative 50 plus haben wir dafür gesorgt, dass die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64jährigen von 37,7 (1998) auf 51,5 (2007) Prozent gestiegen ist. Darüber hinaus haben wir für ältere Arbeitslose die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld auf 18 Monate angehoben. Wir haben die Arbeitnehmerrechte verteidigt und die Mitbestimmung ausgebaut. Union und FDP versuchen seit Jahren, das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeitgeber zu verschieben und die Tarifautonomie durch betriebliche Bündnisse auszuhöhlen. Wir haben den Kündigungsschutz erhalten und die Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit verteidigt. Aber wir wollten Arbeitnehmerrecht nicht nur verteidigen, wir wollten sie ausbauen. 2001 haben wir darum das Betriebsverfassungsgesetz umfassend modernisiert. Und wir haben die Weichen für Mindestlöhne gestellt: Zu viele Menschen arbeiten den ganzen Tag, sind aber trotzdem auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen, weil Unternehmen Löhne zahlen, die zum Leben nicht reichen. Darum haben wir beschlossen, Mindestlöhne einzuführen, um der schleichenden Entwertung von Arbeit entgegenzutreten. Wir haben durchgesetzt, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz neu gefasst und ausgeweitet wird. Beschäftigte vieler Branchen profitieren deswegen schon heute von Mindestlöhnen. Gegen den Willen der Union sorgen wir dafür, dass bei konkurrierenden Branchentarifen nicht automatisch der Tarif mit dem niedrigsten Lohn gilt, sondern der mit der größten Repräsentativität. Auch die Modernisierung des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes ist hier zu nennen.
Beispiel Steuern:
Wir haben die Steuern für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesenkt. Allein im Zuge der großen Steuerreform haben wir den Eingangssatz der Einkommenssteuer von 25,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt. Uns war es auch wichtig, die Grundfreibeträge zu erhöhen, damit mehr Menschen mit geringem Einkommen gar keine Steuern mehr zahlen. So haben wir die unteren Einkommen und die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massiv entlastet. Durch das aktuelle Konjunkturpaket II wird erneut zur gezielten Entlastung der unteren Einkommen der Grundfreibetrag in zwei Stufen auf 8004,00 Euro angehoben und der Eingangssteuersatz auf 14 Prozent gesenkt. Auf der anderen Seite haben wir dafür gesorgt, dass Spitzenverdiener einen angemessenen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt ein Viertels des kompletten Geldvermögens. Um die besonders Vermögenden stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen haben wir die so genannte „Reichensteuer“ eingeführt: Der Steuersatz für höchste Einkommen ab 250.000 Euro für Ledige und 500.000 für Verheiratete wurde angehoben, wodurch wir jährlich 1,3 Milliarden Euro mehr haben, die wir in Bildung und Infrastruktur investieren können.
Beispiel Bildung und Wissenschaft:
In den letzten zehn Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung ist es uns gelungen, Bildung und Wissenschaft endlich wieder große Bedeutung zu verleihen. Ob ein Kind in der Schule erfolgreich war, hing und hängt viel zu oft davon ab, ob es aus einer Akademikerfamilie kam oder aus einer Arbeiterfamilie. Um diese Ungerechtigkeit zu beheben, entschieden wir uns, die Ganztagsschule zu stärken. Sie fördert alle Kinder besser und individueller und gleicht so ungleiche Startchancen besser aus. 2003 haben wir das größte Schulentwicklungsprogramm aufgelegt, das es in Deutschland je gegeben hatte: Das Ganztagsschulprogramm. Bis heute konnte der Bau und der Ausbau von bundesweit 6.400 Ganztagsschulen gefördert werden. Weiterhin haben wir die Ausbildungschancen für Jugendliche erhöht. Wir wollen, dass jeder Jugendliche eine faire Chance auf ein erfolgreiches Berufsleben erhält. Mit dem Jugendsofortprogramm, das 1999 gestartet ist, konnte 660.000 arbeitlosen Jugendlichen geholfen werden. Mit der Wirtschaft haben wir 2004 den „Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ geschlossen. Ziel war, jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen ein Ausbildungsangebot zu machen. Und es hat funktioniert, wie die aktuellen Zahlen belegen. Zusätzlich wurde 2008 der Ausbildungsbonus beschlossen, mit dem gezielt Jugendlichen geholfen werden soll, die schon länger auf einen Ausbildungsplatz warten. Außerdem haben wir das BAföG wieder stark gemacht. Wir wollen, dass das Studieren nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern ist. Innerhalb unserer ersten vier Regierungsjahre haben wir die Ausgaben für das BAföG verdoppelt, der Anteil der geförderten Studenten stieg auf 25 Prozent. Und auch in der großen Koalition haben wir uns gegen den Koalitionspartner durchgesetzt und das BAföG um 10 Prozent erhöht sowie die Freibeträge angehoben, wodurch 100.000 Studierende mehr BAföG erhalten und damit die Möglichkeit, zu studieren.
Dies sind nur Beispiele all dessen, was wir als SPD in den letzten Jahren erreicht haben und durchsetzen konnten. Und ich denke, allein diese Beispiele zeigen, dass die Richtung stimmt. Auch wenn es nicht immer gelingt, alles so umsetzen, wie wir es uns vorgestellt haben.
Dies zeigt sich auch bei der von Ihnen erwähnten Pendlerpauschale: Zunächst und zu allererst kann ich Ihnen versichern, dass die SPD-Bundestagsfraktion schon seit je her für eine angemessene und sozial ausgewogene Entfernungspauschale eintritt. Es waren CDU und CSU, die im Jahre 2005 mit der Forderung nach einer Kürzung der Entfernungspauschale in die Bundestagswahl gezogen sind. CDU/CSU haben in den Koalitionsverhandlungen auf dieser Forderung bestanden. Die SPD hat der Kürzung der Entfernungspauschale schließlich als Bestandteil eines umfassenden Gesamtkonzeptes zur Haushaltskonsolidierung zugestimmt.
Die Umsetzung der Kürzung wurde bei den Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 eingehend diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich dabei für eine Fortgeltung der Entfernungspauschale ab dem ersten Entfernungskilometer ausgesprochen. Diese Lösung wäre der großen Mehrheit der Pendler am Besten gerecht geworden. Sie war jedoch innerhalb der Koalition nicht konsensfähig. Die damals beschlossene Regelung sah vor, dass Fernpendler im Wege einer Härtefallregelung einen Pauschbetrag von 30 Cent ab dem 21. Entfernungskilometer wie Werbungskosten oder Betriebsausgaben steuerlich geltend machen konnten.
Hiergegen wurden verschiedene Klagen vor den Finanzgerichten eingereicht. Schlussendlich wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hatten daraufhin vereinbart, dass an der beschlossenen Regelung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgehalten wird. Dieses Abwarten ging nicht zu Lasten der Pendler. Aufgrund der Vorläufigkeit der Steuerbescheide bezüglich der Entfernungspauschale konnten die Steuerpflichtigen ihre etwaigen Ansprüche auch nachträglich geltend machen.
Im Dezember 2008 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vorgelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat es sehr begrüßt, dass das Gericht mit seiner Entscheidung klare verfassungsrechtliche Maßstäbe für eine steuerliche Berücksichtigung von Fahrtkosten vorgegeben hat. Bei der jetzt zu findenden Neuregelung werden wir uns auch wie zuvor für eine einheitliche Entfernungspauschale ab dem ersten Entfernungskilometer einsetzen. Die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen an erster Stelle und es darf für niemanden zu Schlechterstellungen kommen. Außerdem dürfen die Entlastungen nicht durch Belastungen an anderer Stelle wieder neutralisiert werden.
Ich vermute, dass Sie sich mit Ihrer Aussage „die SPD hat gegen die Wiedereinführung der Pendlerpauschale gestimmt“ auf die Ablehnung des Antrags der Fraktion die Linke beziehen, die sich mitten im bayerischen Landtagswahlkampf eine Forderung der CSU zu eigen machte, die Entfernungspauschale ab dem ersten Kilometer wieder einzuführen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass solche Entscheidungen nicht aus wahlkampftaktischen Gründen und aufgrund von Parteiengezänk getroffen werden sollten. Der Antrag der Linken enthielt dazu noch handwerkliche Fehler. Zudem stand genau zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus. Es wäre unsinnig und verantwortungslos gewesen, ein Gesetz einzuführen, welches man drei Monate später aufgrund einer Gerichtsentscheidung wieder hätte ändern müssen. Deswegen haben die Koalitionsfraktionen, aber auch die Grünen gegen diesen Antrag gestimmt.
In der vergangenen Woche hat der Bundesfinanzminister eine Gesetzesinitiative zur Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale angekündigt. Leider sieht es momentan danach aus, dass die CDU/CSU erneut Wahlkampf auf Kosten der Pendler machen will.
Sehr gerne würde ich auf alle von Ihnen genannten Punkte und darüber hinaus eine ausführliche Antwort geben. Aber dies würde den Rahmen sprengen, den abgeordnetenwatch bietet, so dass ich hier nur auf einzelne Beispiele eingehen konnte. Ich möchte Sie daher zu einem persönlichen Gespräch bei einem Tee oder Kaffee in meine Bürgersprechstunde einladen. Ein direktes Gespräch mit Ihnen würde mir die Möglichkeit geben, auf Ihre persönliche Situation einzugehen und möglicherweise spezielle Fragen direkt beantworten zu können. Einen Termin für meine Bürgersprechstunde können Sie unter 030 / 36 75 70 90 vereinbaren. Darüber hinaus können Sie mich direkt erreichen unter
Swen Schulz, MdB
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
oder per E-Mail unter
swen.schulz@bundestag.de
Sehr geehrter Herr Kauper, trotz aller schmerzhafter Kompromisse, die wir in der großen Koalition machen mussten, und auch trotz mancher unterschiedlicher Ansichten in Einzelfragen der SPD, würde ich mich freuen, wenn Sie der SPD die Treue halten. Ich bin überzeugt davon, dass gerade in der jetzigen Krise der Wirtschafts- und Finanzsysteme sozialdemokratische Antworten nötig sind, um die Herausforderungen so zu meistern, dass dabei das Wohl aller Menschen und nicht das kurzfristige Gewinnstreben Weniger im Mittelpunkt steht.
Mit den besten Grüßen
Ihr Swen Schulz, MdB