Frage an Swen Schulz von Stefan G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schulz,
wie stehen Sie zu der erfolgreichen Volksinitiative "Mehr Demokratie beim Wählen" in Berlin http://www.besseres-wahlrecht.de ?
Die vom Senat für zulässig erklärten Teile: 5 Parteienstimmen und veränderbare Parteilisten geben dem Bürger die Möglichkeit seine Wahlentscheidung differenzierter auszudrücken und viel mehr Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Abgeordnetenhaus auszuüben.
Da die parlamentarische Behandlung kurz bevor steht: Welchen Umgang empfehlen Sie ihren Berliner Parteigenossen mit der Initiative?
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Günther
Sehr geehrter Herr Günther,
vielen Dank für Ihre Frage zum laufenden Verfahren der Volksinitiative „Mehr Demokratie beim Wählen“ in Berlin, die Sie ja an mehrere Berliner Bundestagsabgeordnete über abgeordnetenwatch richten.
Ich unterstütze das Anliegen der Berliner Landesregierung, Bürgerinnen und Bürger vermehrt am demokratischen Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen und hoffe, dass sich die Elemente der direkten Demokratie bewähren und rege genutzt werden.
Lange Zeit konnte Berlin beim Thema direkte Demokratie nicht mithalten, war stets Schlusslicht und landete Jahr für Jahr auf Platz 16 im Ländervergleich. Im Jahr 2005 ist es jedoch auf Initiative der Koalition aus SPD und Die Linke endlich gelungen, den Weg frei zu machen für mehr Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in den Bezirken. Durch diese Initiative, die im Abgeordnetenhaus von allen Fraktionen, außer der CDU-Fraktion, unterstützt wurde, hat Berlin endlich seine Außenseiterposition aufgegeben und einen ersten Schritt in Richtung einer Landes- und Bezirkspolitik unternommen, bei der die Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter, das heißt als aktive Bürgerinnen und Bürger, akzeptiert und ernst genommen werden. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“, der jetzt auch Initiator der von Ihnen angesprochenen Volksinitiative ist, bescheinigte Berlin sogar die „bürgerfreundlichste Regelung, die in Deutschland je von einem Parlament beschlossen wurde“.
Anfang 2008 hat die Mehrheit im Abgeordnetenhaus von Berlin weitere Schritte zur Vereinfachung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden unternommen – diesmal auf der Landesebene. So können seit dem 20. Februar 2008 beispielsweise auch 16-Jährige an einer Volksinitiative teilnehmen, das war bislang nur möglich, wenn man volljährig war. Bisher wurden für einen Antrag auf Behandlung einer Volksinitiative 90.000 Unterschriften benötigt, nach der Neuregelung sind nur noch 20.000 Unterschriften notwendig, das Quorum ist also deutlich gesenkt worden.
In Berlin strebt „Mehr Demokratie e.V.“ einen Volksentscheid an, hat zusätzlich aber auch eine Petition ins Berliner Abgeordnetenhaus eingebracht. Grundsätzlich finde ich es richtig und unterstützenswert, wenn sich Bürgerinnen und Bürger einer Stadt mit ihren Ideen und Vorschlägen an Parlamente und Verwaltungen wenden. Aus meiner Arbeit im Petitionsausschuss weiß ich, dass die direkte Beschäftigung mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger gewissermaßen der Realitätstest von Politik ist. Nicht wenige politische Korrekturen hatten ihren Ursprung in Petitionen.
Was die konkreten Forderungen anbetrifft, die Sie ansprechen, bin ich allerdings skeptisch. Ich weiß aus Gesprächen etwa mit Kommunalpolitikern aus dem Süden Deutschlands und auch aus Schweden, dass die veränderbaren Parteilisten große Schwierigkeiten mit sich bringen, weil dann die Gefahr besteht, dass eine kleine, informierte oder besonders motivierte Minderheit Partikularinteressen organisiert durchdrücken (wollen). Ich halte es auch für fraglich, die Persönlichkeitswahl zu überhöhen. Ich halte – bei allen Fehlern und Problemen – die Orientierung an Parteien und deren Programme für richtig.
Eher noch finde ich mehrere Parteienstimmen überlegenswert, weil dies den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eröffnet gewichtet zu wählen, also etwa – um gängige Beispiele zu nehmen – der SPD und Bündnis ´90/Die Grünen oder CDU und FDP anteilig zu wählen. An dieser Stelle bin ich gesprächsoffen.
Uns erwartet sicherlich eine spannende politische Diskussion.
Mit den besten Grüßen
Swen Schulz, MdB