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Frage von Marco S. •

Frage an Swen Schulz von Marco S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Schulz,

leider sind Sie nicht mein Abgeordneter, da ich im benachbarten Wahlkreis wohne. Ich frage Sie trotzdem, weil Sie einer der wenigen sind die dieses Forum (mit ausgezeichneter Beantwortungsquote) nutzen.

Im Juni waren Sie sich noch nicht sicher, ob Sie dem ESM zustimmen werden.
Was stand nun am Ende auf dem Papier, über das Abgestimmt wurde?
Welche Argumente, Umstände oder Zwänge haben Sie zur Zustimmung bewogen?

Sie betonten, dass Sie kein Verfassungsexperte sind - bin ich auch nicht. Sie vertrauen den Sachverständigen - ich der Vernunft resp. Bauchgefühl. Danach kann eine Institution, deren:
- Mitglieder nicht gewählt werden, aber umfassende Immunität genießen
- Entscheidungen (gegenüber Staaten) einklagbar sind
- Entscheidungsgrundlagen vertraulich sind
nicht den demokratischen Prinzipien (oder dem, was wir dafür halten) entsprechen.
Gibt es eine Rechtsgrundlage mit deren Hilfe der ESM beendet werden könnte?
In der Hoffnung mich zu irren, bitte ich Sie mir kurz die wesentlichen demokratischen Elemente des ESM darzustellen?

Gruß
Schmidt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihre Frage.

Tatsächlich habe ich nach langer und reiflicher Überlegung dem ESM zugestimmt. Den Fiskalpakt habe ich abgelehnt. Meine Argumentation möchte ich Ihnen kurz darlegen: Ich bin grundsätzlich für die europäischen Rettungsschirme, da sie Ausdruck der innereuropäischen Solidarität sind. In diesem Zusammenhang stellten sich einige schwierige rechtliche Fragen, die teilweise auch von Ihnen erwähnt werden. Die Ergebnisse von Sachverständigenanhörungen, viele Unterlagen und Gespräche sowie letztendlich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 bestätigten allerdings, dass der ESM nicht gegen das Grundgesetz oder demokratische Prinzipien verstößt. Wichtig waren und sind für mich immer die Beteiligung des Parlaments und damit der demokratischen Vertretung der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen habe ich 2011 beim Bundesverfassungsgericht auch Klage gegen das Verfahren zum ersten Euro-Rettungsschirm (EFSF) eingelegt, welches das Parlament umgangen hätte. Dieser Klage wurde stattgegeben. Einem ähnlichen Geist lag auch die aktuelle Entscheidung des Gerichts zu Grunde. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enthält dazu drei zentrale Botschaften:

1) Die Haftungsgrenze der Bundesrepublik in der Höhe von 190 Mrd. Euro können nur durch Zustimmung des Bundestages geändert werden. Das bedeutet, dass der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat nur mit der Zustimmung des Parlaments einer Erhöhung der Haftungssumme zustimmen kann.

2) Die berufliche Schweigepflicht ist in Art. 34 des ESM-Vertrages geregelt. Sie gilt für Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums. Allerdings regelt das ESM-Finanzierungsgesetz für Deutschland, dass der Bundesfinanzminister als Mitglied des Gouverneursrates und der von Deutschland nominierte Direktor dem Deutschen Bundestag ungeachtet dieser Vertragsbestimmung jederzeit auskunftspflichtig sind. Die SPD hat im Laufe der Beratungen gefordert, das klar gesetzlich zu regeln. Es wurde in § 7 Abs. 9 des Gesetzes aufgenommen. Der deutsche Vertreter ist somit an die Beschlüsse des Bundestages gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig. So darf „die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages“ nicht mit dem Verweis auf die „berufliche Schweigepflicht“ durch die Mitglieder des Gouverneursrates oder des Direktoriums eingeschränkt werden.

Es ist richtig, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates und die Mitglieder des Direktoriums persönliche Immunität genießen. Diese Immunität soll nicht vor Strafverfahren oder zum Schutz vor Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten dienen, sondern vor allem dazu, dass Gerichte keine Auskunftspflicht anordnen dürfen. Der ESM operiert mit sehr marktrelevanten Daten und Geschäftsgeheimnissen, deren Preisgabe zu erheblichen Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen kann. Machen sich Mitglieder des Direktoriums oder des Gouverneursrates strafbar, kann jede Staatsanwaltschaft die Aufhebung ihrer Immunität beantragen. Art. 35 Abs. 2 des ESM-Vertrages regelt ausdrücklich, dass der Gouverneursrat die gewährten Immunitäten des Vorsitzenden, der Mitglieder, aber auch aller Mitglieder des Direktoriums aufheben kann. Auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages besteht nach dem Grundgesetz Immunität. Sie kann vom Deutschen Bundestag aufgehoben werden, und die Praxis zeigt, dass dies regelmäßig bei einem entsprechenden Antrag einer Staatsanwaltschaft geschieht.

3) Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Gestaltungsverantwortung bei der Politik liegt, d. h. bei Bundestag und Bundesregierung.

Zu Ihrer Frage nach der Beendigung des ESM urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Bundesrepublik mit der Ratifikation keine irreversible Bindung an eine bestimmte Haushaltspolitik eingeht und das trotz fehlendem Austritts- oder Kündigungsrecht der einvernehmliche Austritt immer und ein einseitiger Austritt bei grundlegenden Vertragsänderungen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und möglich ist.

Ich habe wie die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion dem ESM zugestimmt, auch wenn uns die getroffenen Maßnahmen bei weitem noch nicht ausreichen. Aus Sicht der SPD soll der ESM zu einem schlagkräftigen Krisenreaktionsmechanismus ausgebaut werden, um die Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren. Eine gemeinschaftliche Lösung in Form eines „Europäischen Währungsfonds“ ist unser Ziel. Nicht alleine die Staats- und Regierungschefs sollen über Hilfsmaßnahmen und Anpassungsprogramme entscheiden. Die Gemeinschaftsinstitutionen, insbesondere das Europäische Parlament, müssen gestärkt werden, um die demokratische Legitimation zu sichern. Darüber hinaus brauchen wir endlich auch die von uns bereits seit Jahren geforderte Finanztransaktionssteuer. Wir lehnen es ab, dass in erster Linie stets die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, nicht die Krisenverursacher die Zeche zahlen.

Falls Sie weiteren Gesprächsbedarf haben, können Sie gerne zu einem persönlichen Gespräch in meine Bürgersprechstunde in meinem Bürgerbüro in der Bismarckstr. 61 in Spandau kommen. Einen Termin können Sie unter der Telefonnummer 030/ 36 75 70 90 vereinbaren.

Darüber hinaus erreichen Sie mich direkt unter

Swen Schulz, MdB
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
oder per E-Mail unter
swen.schulz@bundestag.de

Mit den besten Grüßen

Swen Schulz, MdB