Sehr geehrter Herr Kindler! Stimmen Sie den öffentlichen Stellungnahmen des BUND und der IPPNW zum "10-Micro-Sievert-Konzept" zu?
Sehr geehrter Herr Kindler!
In den Stellungnahmen des BUND
www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/atomkraft_radioaktive_stoffe_freigabe.pdf
und der IPPNW
www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Ulmer_Expertentreffen_-_Gefahren_ionisierender_Strahlung.pdf
wird aufgezeigt, daß das "10-Mikro-Sievert-Konzept" wissenschaftlich nicht haltbar ist und zu nicht unerheblichen Teilen auf falschen Annahmen beruht. Damit fällt zugleich die vermeintliche wissenschaftliche Grundlage des seit vielen Jahren praktizierten "Freimessens" radioaktiver Abfälle in sich zusammen.
Sehr geehrter Herr S.,
durch die Freigabe ist sichergestellt, dass für Einzelpersonen in der Bevölkerung lediglich eine effektive Dosis im Bereich von 0,01 Millisievert (10 Mikrosievert) pro Jahr auftreten kann. Diese ist eine im Vergleich zur natürlichen Strahlenexposition in Deutschland (durchschnittlich 2,1 Millisievert pro Jahr) sehr kleine zusätzliche Exposition. Trotzdem führt das Freimessungsverfahren zu Sorgen in der Bevölkerung. Es bedarf daher erhöhter Transparenz und umfangreicher Information der Gesellschaft, insbesondere hinsichtlich Überprüfungen des Freigabeverfahrens. Ein "Deponie Plus"-Modell, wie es in Schleswig-Holstein diskutiert wurde, ermöglicht die Dokumentation der Chargen und ihre Rückholbarkeit und kann so Vertrauen in das Verfahren fördern. Vor dem Hintergrund der baldigen Stilllegung aller deutschen AKW und der bereits stark wachsenden Mengen an Rückbauschutt aus dem Nuklearbereich braucht es einen nachvollziehbaren, glaubwürdigen Prozess.
Die IAEA (International Atomic Energy Agency) hat 1988 die Basis für das 10 Mikrosievert-Konzept gelegt. Grundlage der Bewertung, dass die Auswirkungen einer effektiven Strahlendosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Jahr vertretbar sind, war unter anderem die Überlegung, dass eine zusätzliche Strahlendosis im Bereich von einem bis zu wenigen Prozent der mittleren natürlichen Strahlendosis tolerierbar ist. Die Strahlenschutzkommission (SSK), die das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in den Angelegenheiten des Schutzes vor den Gefahren ionisierender und nicht-ionisierender Strahlen berät, und die aus unabhängigen Experten besteht, hat diese Argumentation wiederholt aufgegriffen und immer wieder an dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik gespiegelt.
Denn tatsächlich sind die Freigabewerte, die in der Tabelle 1 in Anlage 4 der Strahlenschutzverordnung festgelegt sind, nicht starr. Um Änderungen im Abfallrecht, und damit verbundene Auswirkungen auf die Berechnung der Freigabewerte für die spezifische Freigabe identifizieren zu können, hat das BMU z.B. 2020 die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mit einem Bericht beauftragt. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wurde festgestellt, dass die Werte für die radioaktiven Stoffe H-3 und C-14 im Rahmen der Beseitigung zur Verbrennung konservativer angesetzt werden sollten. Diese Werte werden mit der nächsten Änderung in die StrlSchV aufgenommen. Es handelt sich hierbei also um ein lernender Prozess, der sich immer am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik messen lassen muss.
2017 hat der Vorstand der Bundesärztekammer in einem Beschluss festgehalten, "dass das international gebräuchliche und bundesweit gültige 10 Mikrosievert-pro-Jahr-Konzept bei freigegebenen Abfällen aus dem Rückbau von Kernkraftwerken das mögliche Risiko der Bevölkerung auf ein vernachlässigbares Niveau senkt." Mehr Informationen bietet der baden-württembergische Landtag unter: https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Drucksachen/1000/17_1461_D.pdf
Alle Strahlenexpositionen müssen auch unterhalb der Grenzwerte so niedrig wie möglich gehalten werden. Es gilt, dass unnötige Strahlenbelastungen oder Kontaminationen zu vermeiden sind. Außerdem gelten für Strahlenexposition die Grundsätze der Notwendigkeit, der Rechtfertigung und der Dosisbegrenzung.
Mit freundlichen Grüßen,
Sven-Christian Kindler