Frage an Sven-Christian Kindler von Jens W. bezüglich Verkehr
Hallo Herr Kindler,
ich habe erfahren, dass auch die Grünen sich am Gesetz zur Ermöglichung u.a. der Autobahnprivatisierung und anderer Infrastrukturmaßnahmen mit positiver Stimme im Eilverfahren des Deutschen Bundestages (01.06.17) und des Bundesrates (02.06.17) beteiligen werden.
Weitere Privatisierungen u.a. von Schulen (!) sollen dadurch ebenfalls zukünftig möglich sein. Geht´s noch?
Als bisherige/r Wähler Ihrer Partei bin ich / sind wir entsetzt über so eine offensichtliche Schnellschusspolitik und würden gerne Ihre Position dazu kennenlernen.
Ungeachtet dessen möchten wir Sie im gleichen Eiltempo wie Ihre Berliner Dampfkollegen und -kolleginnen bitten, sich gegen diese Art der öffentlichen Überrumpelung auszusprechen.
Mit Grüßen, J. Walter, Hannover
Guten Tag Herr Walter,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 01. Juni 2017 und Ihr darin zum Ausdruck gebrachtes Engagement in dieser Sache!
Ich glaube, Sie haben sich da einen Bären aufbinden lassen. Wir haben die Privatisierung der Autobahnen abgelehnt und mit NEIN gestimmt. Ich selbst kämpfe im Bundestag seit über 2 Jahren gegen dieses Projekt und bin Mitgründer eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen die Autobahnprivatisierung. Hier finden Sie meine Bundestagsrede dazu: https://www.youtube.com/watch?v=P3Kd2gSngK4 .
Unser Fraktionsvorsitzender Toni Hofreiter hat selbst am Protest gegen die Autobahnprivatisierung teilgenommen: http://www.keine-autobahnprivatisierung.de/bundesweite-aktionstage-2017/ .
Und das vielleicht Wichtigste: Hier finden Sie das Ergebnis zu den beiden namentlichen Abstimmungen über die Grundgesetzänderungen zur Einrichtung der Autobahngesellschaft:
http://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=478 (Art. 90 GG)
http://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=473 (Art. 143e GG)
Sie sehen, die Fraktion hat mit NEIN gestimmt. Es gab nur eine Enthaltung bei der Abstimmung zu Art. 90 GG.
Wir haben zudem einen eigenen Vorschlag für das Grundgesetz eingebracht, um die Möglichkeit für Privatisierungen dauerhaft und rechtssicher auszuschließen.
Insgesamt gab es aber 13 (!) Grundgesetzänderungen bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, von denen wir 9 zugestimmt haben (u.a. Auflockern des Kooperationsverbotes, Stärkung der Steuerverwaltung gegen Steuerhinterziehung, Hilfen für Bremen und das Saarland etc.) und 4 abgelehnt (u.a. die Autobahngesellschaft) haben. Daher haben wir uns in der Schlussabstimmung enthalten, um diesen differenzierten Einzelabstimmungen Rechnung zu tragen. Unsere Haltung ist eindeutig: Wir kämpfen weiter gegen die Privatisierung der Autobahnen. Für eine moderne, ökologische Verkehrspolitik brauchen wir die demokratische Kontrolle über unsere Infrastruktur, keine private Renditejagd!
In Bezug auf eine drohende Privatisierung von Schulen erlaubt die Änderung des Grundgesetzes jedoch keineswegs deren Betrieb als öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP). Was im Zuge der Neuregelung lediglich ermöglicht wird, sind - auch als ÖPP - Sanierungs- und Baumaßnahmen. Denn: Das Problem vieler Kommunen ist, dass sie aufgrund zu geringer finanzieller Ressourcen in der Verwaltung oft unterbesetzt sind und deshalb die Bauplanung kaum bzw. nicht schnell genug durchführen können. Damit aber gebaut und saniert werden kann, ist eine solche Planung jedoch zwingend erforderlich.
Die Neuregelung ermöglicht es Gemeinden, die auf solche Tätigkeiten spezialisiertes Personal nicht dauerhaft beschäftigen können, nun, das Durchführen der Bauplanung über die Vergabe eines Auftrages an private Firmen abzugeben. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass speziell finanzschwache Kommunen aus strukturellen Gründen nicht von Fördermaßnahmen profitieren können, die speziell für sie angedacht waren.
Klar ist aber auch, dass das keine Dauerlösung ist. Wir müssen die Kommunen wieder befähigen, Neubau- und Sanierungsmaßnahmen an öffentlichen Gebäuden wieder selbst zu planen und auf ÖPP verzichten zu können. Es droht sonst ein Teufelskreis, der die Ausnahme ÖPP zur Regel macht. Dafür brauchen Kommunen finanzielle Entlastungen und vor allem eine dauerhafte und verlässliche Investitionspolitik des Bundes. Nur dann können und werden die Kommunen auch wieder ausreichend Planerinnen und Planer einstellen.
Herzliche Grüße,
Sven-Christian Kindler