Frage an Susanne Melior von Hartmut G. M. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Darf man Kritik an der EU den Rechten überlassen?
Ich meine, die Personenfreizügigkeit z.B. führt in meinen Augen zu einem Nützlichkeitsrassismus. In einem Selbsthilfeheft namens " Optimisten" berichten fibromyalgiekranke Menschen, wie sie durch Zuwanderer ausgewechselt wurden.
Können Sie nicht verstehen, dass sich solche Menschen deshalb als Verlierer vorkommen?
Herr Juncker sagte laut Wikiquote folgendes:
"»Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!« Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher, nirgendwo bewegender ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander an Schlimmstem bewirken kann. Das Nicht-Zusammenleben-Wollen und das Nicht-Zusammenleben-Können haben im 20. Jahrhundert 80 Millionen Menschen das Leben gekostet. Jede Stunde des Zweiten Weltkrieges hat 1045 Tote gebracht." - Gedenkrede im Deutschen Bundestag anlässlich des Volkstrauertages am 16. November 2008. gouvernement.lu [Anm.: Im ersten Teil zitiert Juncker aus seiner gehaltenen Rede auf dem Soldatenfriedhof in Luxemburg am 4. Juni 2005]
"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." - zitiert von Dirk Koch: Die Brüsseler Republik. Der SPIEGEL 52/1999 vom 27. Dezember 1999, S. 136, spiegel.de
Quelle: http://de.wikiquote.org/wiki/Jean-Claude_Juncker
Nun erneuerte der Kandidat der EV diese Aussage, wie Sie in diesem Bericht nachlesen können:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article128101650/Juncker-schickt-Europagegner-auf-die-Friedhoefe.html
Ist das in Ordnung? Verwechseln manche nicht Kritik an der EU mit Kritik an Europa?
Sehr geehrter Herr Mayer,
selbstverständlich sollte man nicht die Europäische Union mit Europa gleichsetzen. Gleichwohl hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch in den letzten Jahren weitgehend durchgesetzt, von Europa zu reden, wenn man im eigentlichen Sinne die EU meint. Alle, denen wohl bewusst ist, dass es einen Unterschied zwischen dem Europäischen Rat und dem Europarat gibt, wissen auch sehr genau zu unterscheiden zwischen EU und Europa. Allerdings weiß niemand wirklich ganz genau zu sagen, ob beispielsweise der Kaukasus zu Europa gehört, der Ural die Grenze Europas bildet, die Türkei zwar zu einem kleinen Teil zu Europa gehört, aber vielleicht doch nicht in die EU. Wer glaubt, Europa geographisch definieren zu können, müsste zu allererst einmal eingestehen, dass der Kontinent Europa faktisch nichts anderes ist als ein geologisches Anhängsel am westlichen Rand Asiens sowie der indische Subkontinent ein südliches Anhängsel von Asien ist.
Kulturell, politisch und ethnisch ist und war Europa ohnehin nicht scharf abzugrenzen. Unbestreitbar aber ist, dass die Völker Europas nicht zuletzt durch die Europäische Vereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg eine in der Geschichte unseres Kontinents beispiellos lange Phase von Frieden und Prosperität erlebt haben. Dies gilt es, zu bewahren und vor allem für unsere Kinder zu sichern. Und genau deshalb nimmt die Europäische Union bis heute kein neues Mitglied auf, das Gebietsansprüche gegen andere Länder erhebt.
Dass Sie ausgerechnet die Personenfreiheit in der EU als „Nützlichkeitsrassismus“ brandmarken, finde ich sehr bedauerlich, denn die Personenfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten der EU. Sie besagt, dass sich alle Bürger der Union innerhalb dieser frei bewegen dürfen. Das schließt auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit ein. Im Ergebnis dürfen sich also alle Bürger der Europäischen Union im gesamten Gebiet der EU als Arbeitnehmer anstellen lassen oder, bei entsprechenden fachlichen und formalen Voraussetzungen, niederlassen.
Die anderen Grundfreiheiten, der freie Warenverkehr, die Dienstleistungsfreiheit und der freie Kapital- und Zahlungsverkehr sind überwiegend wirtschaftlich und finanzpolitisch begründet.
Im Mittelpunkt des Freiheitsbegriffs steht aber der Mensch als Person, als Individuum. Wenn Sie beklagen, dass Zuwanderer möglicherweise Arbeitsplätze und damit einheimische Bürger bedrohen, so ist die Ursache dafür doch nicht die Freizügigkeit, sondern eine verfehlte und Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Herkunftsländern und womöglich auch hier bei uns. Hier müssen wir die Politik verbessern und die Rechte von abhängig Beschäftigten stärken. Kein Mensch sollte seine Heimat aus Not verlassen müssen, mit der Hoffnung, in der Fremde ein besseres Leben zu finden.
Sowie es keinem deutschen Staatsbürger beispielsweise verwehrt ist, von Hamburg nach München zu ziehen, so sollten wir auch für selbstverständlich erachten, dass sich Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in allen Mitgliedstaaten frei bewegen können.
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Melior