Frage an Stephanie Iraschko-Luscher von Mark B. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Iraschko-Luscher,
vielen Dank für Ihre zeitnahe Antwort auf meine Frage. In der Tat hört sich die Veranstaltung recht interessant an. Wenn ich Zeit finde, werde ich gern mal reinschauen.
Nun wirft sich mir jedoch schon eine neue Frage auf: In Ihrer Antwort an Frau Geck schreiben Sie, Gesellschaftspolitik sei Ihnen ein besonderes Anliegen. Was wollen sie denn konkret ändern? Die FDP ist mir bislang noch nicht als besonders familienfreundliche Partei ins Bewußtsein getreten. Ich hör´ immer nur Steuern senken bla bla.
Mit freundlichen Grüßen
Mark Bitler
HH-Ohlsdorf
Sehr geehrter Herr Bitler,
für Liberale sind soziale Bindungen in Familie und Verantwortungsgemeinschaften besonders wertvoll. Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft, mehr aber noch die Zukunft des eigenen Lebens. Wir sollten sie weder vorrangig als volkswirtschaftlichen Faktor noch als Armutsrisiko sehen. Wir meinen: Kinder machen Freude, stiften Sinn und können Bereicherung auch für das Alter sein! Ich spreche hier aus eigener Erfahrung.
Die FDP strebt daher eine Familienpolitik an, die auf vier Grundsätzen beruht:
1. Wahlfreiheit und Freiraum der eigenen Lebensgestaltung
2. Beurteilung der familienpolitischen Ansätze nach den Auswirkungen auf
Kinder
3. Eigeninitiative und private Organisation vor staatlicher Regelung
4. gleiche Teilhabe von Frauen und Männern.
In der familienpolitischen Diskussion stehen heute oft die Belastungen bei der Kindererziehung im Vordergrund. So ist es unbestreitbar richtig, dass Kinder das Armutsrisiko der Eltern erhöhen können und es schwierig ist, Beruf und Familie zu vereinbaren. Allerdings sollte anerkannt werden, dass heute schon etwa drei Prozent des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) für Familienleistungen von Steuerzahlern und Beitragszahlern aufgebracht und umverteilt werden. Damit liegen wir im internationalen Vergleich auf einem guten Platz. Allerdings legt Deutschland anders als andere Länder einen deutlichen Schwerpunkt auf Geldleistungen im Vergleich zu Dienstleistungen für die Familie. Es sollte daher überprüft werden, ob die Mittel tatsächlich zielführend eingesetzt werden. Demografische Veränderungen haben einen langen Vorlauf. Seit Jahren gehen in Deutschland die Kinderzahlen zurück. Seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts ist jede Kindergeneration um ein Drittel kleiner als die ihrer Eltern. Dieser Rückgang ist aus zwei Gründen bisher kaum wahrgenommen worden: Die Lebenserwartung ist in den letzten 30 Jahren um ca. acht Lebensjahre angestiegen, und in Deutschland leben mittlerweile zwölf Millionen Aussiedler, Ausländer und eingebürgerte Migranten und Migrantinnen. Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind komplex und betreffen alle Lebensbereiche der Menschen: Die Kinderzahlen werden nicht soweit steigen können, dass die Bevölkerungszahl stabil bleibt. Zuwanderung allein kann zwar weder das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Jung und Alt ausgleichen, noch das Schrumpfen auffangen, ist aber eine geeignete Maßnahme zur Dämpfung des Demographiewandels. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich an, die Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherungssysteme verschärfen sich dadurch. Es gibt kein Patentrezept zur Lösung der Herausforderungen des demografischen Wandels. Nur mit einem Bündel von Maßnahmen kann den Veränderungen des demografischen Wandels nachhaltig begegnet werden. Der Kinderwunsch war immer dann gering, wenn in einem Klima von Arbeitslosigkeit, Angst und Orientierungslosigkeit wenig Zuversicht für die persönliche Zukunft bestand. Eine Politik, die die Sorge um den Arbeitsplatz verringert und Perspektiven für die ökonomische Zukunft der Familie schafft, ist entscheidender, als direkte familienpolitische Geldleistungen weiter zu erhöhen. Trotz aller Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte haben Männer immer noch einen geringen Anteil an der Kindererziehung - sei es als Väter, als Erzieher, als Grundschullehrer oder als Tagesväter. Für Männer ist es weniger selbstverständlich als für Frauen, ganz oder teilweise die Kindererziehung zu übernehmen - sowohl selbstbestimmt durch ihr eigenes Rollenbild als auch fremdbestimmt durch mangelnde Akzeptanz durch das soziale Umfeld und die Arbeitgeber. Wiederum konzentrieren sich die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem auf Frauen. Dies widerspricht dem Wunsch zahlreicher Frauen und Männer nach gleicher Teilhabe am Familien- und Erwerbsleben. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Familien beginnen in den Köpfen der Menschen. Kinder- und Familienfreundlichkeit müssen wieder verstärkt als Wert und Einstellung ins Bewusstsein rücken. Nicht nur für die heutigen Eltern und deren Kinder haben ihre Familien einen hohen Stellenwert. Die eigene Familiengründung wird gerade von jungen Menschen als Lebensziel gewünscht.
Liberale unterstützen jede auf Dauer angelegte Gemeinschaft, in der Menschen füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Besondere Unterstützung verdient dabei die Familie als generationenübergreifende Verantwortungsgemeinschaft. Liberale Politik ist immer offen für die Bedürfnisse und Wünsche von Bürgerinnen und Bürgern - sie berücksichtigt den gesellschaftlichen Wandel. Pluralisierung, Individualisierung und neue Lebensentwürfe von Frauen und Männern haben in unserer Gesellschaft zu vielfältigen familiären Lebensformen und Lebensstilen geführt. Es ist nicht staatliche Aufgabe, die verschiedenen familiären Lebensformen zu bewerten oder zu lenken. Es ist vielmehr staatliche Aufgabe, einen fairen gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, in dem Frauen und Männer die Form ihrer Verantwortungsgemeinschaft frei wählen können.
Das bedeutet: Für Männer und Frauen muss gleichermaßen eine Wahlfreiheit der Lebensform bestehen: Kindererziehung ist Sache der Eltern, nicht allein der Mütter. Auch Väter sollen die Freiheit haben, ohne Ansehensverlust und Einschränkung der beruflichen Aufstiegschancen ihre Erwerbsarbeit vorübergehend zugunsten der Kindererziehung reduzieren zu können. Das Unterhaltsrecht muss neu gestaltet werden. Minderjährige Kinder sowie noch in der Schulausbildung befindliche heranwachsende Volljährige müssen absoluten Vorrang vor allen anderen Unterhaltsberechtigten haben, um Kinderarmut zu begegnen. Trennung oder Scheidung dürfen für die Partner nicht im bestehenden Maße Armutsrisiko bleiben. Auch für erziehende Personen mit Kindern ab dem Kindergartenalter ist es zumutbar, zumindest eine Erwerbstätigkeit in Teilzeit aufzunehmen. Die Regelungen beim Erziehungsunterhalt von geschiedenen und nichtehelichen Eltern müssen einander angenähert werden. Die "Sandwich-Generation", also Menschen, die Kinder und Eltern zugleich versorgen, muss mit Unterhaltsansprüchen in verkraftbarem Rahmen rechnen können. Der Vorrang des Kinderunterhalts gilt auch hier. Das Einkommen von Schwiegerkindern soll bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen für den Elternunterhalt außer Betracht bleiben. Wer gleiche Pflichten hat, muss auch gleiche Rechte haben. Die verbleibenden Benachteiligungen eingetragener Lebenspartner gegenüber der Ehe müssen daher beseitigt werden.
Ehe, Familie und Lebenspartnerschaften sind nicht nur Ausdruck persönlicher und sozialer Bindung. Sie sind auch das kleinste und bedeutendste soziale Netz und stehen zu Recht unter dem Schutz der staatlichen Ordnung. Sie beruhen aber auf privaten Entscheidungen, die dem Einfluss des Staates nur bedingt zugänglich sind und sein sollten. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Reproduktionsraten einer Gesellschaft zu planen und zu lenken. Niemand soll sich für Kinder oder Kinderlosigkeit - sei sie gewollt oder ungewollt - entschuldigen müssen. Es ist staatliche Aufgabe, gesellschaftlichen Freiraum zu schaffen, in dem Frauen und Männer einen Kinderwunsch realisieren können. Echte Freiheit bei der Entscheidung erfordert, dass der Staat familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen schafft und unfaire Nachteile ausgleicht. Wir wollen zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen, das mehr Menschen ermutigt, sich Kinder als Teil ihres Lebens zu wünschen.
Das bedeutet: Wie im liberalen Steuer-Gesetzentwurf vorgesehen, soll ein steuerlicher Grundfreibetrag von jährlich 7.700 Euro in voller Höhe für Erwachsene und Kinder gelten - mit der analogen Anpassung beim Kindergeld auf 200 Euro pro Kind und Monat. Zusätzlich sollen 12.000 Euro pro Jahr für die Beschäftigung von Hilfen im Privathaushalt steuerlich absetzbar sein. Familienpolitische Leistungen sollen sich stärker an der Kinderzahl orientieren. Das wird mit dem FDP-Steuerkonzept erreicht. Die Wirkung des Ehegatten-Splitting wird abgemildert und die Förderung der Kinder durch höhere Freibeträge und ein höheres Kindergeld deutlich verbessert. Die Finanzierung des Mutterschutzes soll in Zukunft nicht Aufgabe der Betriebe, sondern der Gesellschaft sein und deshalb aus Steuermitteln aufgebracht werden. Die Steuerklasse V wird abgeschafft. Die Liberalen wollen durch die sozial flankierte Privatisierung von Kranken- und Pflegeversicherung Generationengerechtigkeit für die Kinder von heute und morgen schaffen. Dabei werden wir je nach Bedürftigkeit den sozialen Ausgleich gerade für Familien über Steuermittel finanzieren. Die heutigen steuerfinanzierten Mittel sollen für die Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung generationengerechter für den Aufbau einer "kapitalgedeckten Kinderrente" verwendet werden, um Nachteilen beim Aufbau der Alterssicherung während der Erziehungsphasen besser zu begegnen. Familienförderung besteht nicht nur aus der dringend gebotenen finanziellen Besserstellung von Familien. Genauso wichtig ist das Ausräumen von Hemmnissen, die junge Paare von der Familiengründung abhalten: Die Infrastruktur öffentlicher Einrichtungen, Freizeitangebote, Ladenöffnungszeiten, öffentliche Nah- und Fernverkehrssysteme haben den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Familien Rechnung zu tragen. Die Entscheidung zur Familiengründung und das Erziehen von Kindern muss mehr Anerkennung finden, in der Arbeitswelt genauso wie im öffentlichen Leben.
Die Entscheidung für eine Familiengründung ist grundsätzlich eine private Angelegenheit. Das familiäre Zusammenleben, die Erziehung und das Heranwachsen von Kindern darf nicht verstaatlicht werden. Staatliche Eingriffe in die Familie selbst bedürfen einer besonderen Rechtfertigung. Die FDP will keine Rundum-Erziehung von Kindern durch staatliche Institutionen. Die Frage nach dem Verhältnis von Familie, Erziehung und Staat trifft den Kernbereich freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Das bedeutet aber auch, dass zuallererst die Eltern ihrer Verantwortung bei der Erziehung gerecht werden müssen. Es ist nicht Aufgabe und das Recht des Staates, Eltern die Verantwortung für ihre Kinder abzunehmen. Es ist vielmehr staatliche Aufgabe, verläßliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Finanzierung ausreichender Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsleistungen sicherstellen. Dabei müssen private Anbieter und Initiativen Vorrang vor staatlichen Institutionen haben. Der Staat muss Leistungen finanzieren, er muss sie aber nicht zwingend selbst durchführen. Das bedeutet: Die Erziehungsfähigkeit der Eltern beispielsweise durch Elternkurse, Elternbrief und Beratungskurse ist zu stärken. Die Familie ist das erste und wichtigste soziale Übungsfeld für Kinder und damit entscheidend für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Es gilt, das Grundverständnis in der Familie und Gesellschaft zu vermitteln, dass Erziehung die Gestaltung und das Erleben zwischenmenschlicher Beziehungen und Achtung ist. Frühkindliche Bildung ist Aufgabe des Staates. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Eltern auch die Erziehung ihrer Kinder an Kindergarten oder Schule delegieren können. Gerade ein liberaler Staat muss von den Eltern erwarten können, dass sie ihre Kinder an Werte wie Toleranz und Gewaltfreiheit heranführen und ihnen gesellschaftliche Integrationsfähigkeit, Disziplin, Leistungswillen und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung mit auf den Weg geben. Von Ländern und Kommunen fordert die FDP ein bedarfsgerechtes Angebot von Betreuungsplätzen ab Ende des Mutterschutzes (8 Wochen nach der Geburt) und die grundsätzliche Bereitstellung eines Ganztagsplatzes in Krippen, KiTas und Schulen (Horte) für Kinder berufstätiger Mütter und Väter. Langfristig sollen Kindergärten im Rahmen des Rechtsanspruches (halbtags) für Eltern gebühren-/beitragsfrei sein. Die private Tagespflege (Tagesmütter und Tagesväter) muss als gleichrangiges Angebot neben der so genannten institutionellen Betreuung in Krippen gefördert werden - unbürokratisch, bundeseinheitlich und mit einem unabhängigen Bewertungssystem zur Qualitätssicherung. Bürokratische Hemmnisse für Kindertageseinrichtungen (z.B. Anforderungen an die räumliche Ausstattung) müssen überprüft und entrümpelt werden. Kommunale Kindertageseinrichtungen sollten so weit wie möglich privatisiert werden. Die Hochschulausbildung ist auf eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Kindererziehung auszurichten. Dazu gehören kompakte Ausbildungsmodule und Kooperationen der Ausbildungsstätten mit Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Einrichtung von Betriebskindergärten ist durch flexible und vereinfachte gesetzliche Vorgaben zu erleichtern. Für kleinere Unternehmen bieten sich Kooperationsformen mit anderen Betrieben oder mit Kindergärten sowie Tagespflegemodelle an. Professionelle Beratungsunternehmen können ihnen Marktübersicht verschaffen und ein passgenaues Betreuungsangebot vermitteln.
Frauen und Männer haben die Freiheit, aber auch die Verantwortung, zur
Erziehung ihrer Kinder beizutragen. Weder dürfen Männer durch
gesellschaftliche Zwänge von ihrer gewünschten Erziehungsrolle abgehalten
werden, noch dürfen berufliche Nachteile durch die Kindererziehung einseitig
auf Frauen abgewälzt werden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, lenkend in
die Aufgabenverteilung von Frauen und Männern innerhalb der Partnerschaft
und der Familie einzugreifen. Es ist allerdings Aufgabe des Staates,
diejenigen familienpolitischen Maßnahmen, die er ergreift, so auszurichten,
dass sie der gleichen Teilhabe von Frauen und Männern am Familien- und
Erwerbsleben nicht widersprechen.
Das bedeutet: Schutzgesetze für Eltern, vor allem für Mütter, die zum Einstellungshindernis werden können, sind auf den Prüfstand zu stellen. Diese Schutzgesetze, wie zum Beispiel das Recht auf Teilzeitarbeit, verringern die Karrierechancen und verlangsamen den beruflichen Aufstieg. Der Mutterschutz (sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt) ist zu erhalten. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu erreichen, bedeutet neue Rahmenbedingungen zu etablieren, die phasenweise, also sich abwechselnde Lebensmuster ermöglichen. Wir müssen uns verabschieden von dem gesellschaftlichen Druck, dass nach Beendigung der Ausbildung, in einer Lebenszeit von Ende 20 bis Mitte 40 Jahren alles gleichzeitig erreicht werden soll: berufliche Etablierung, Kinder bekommen und erziehen, Karriere, finanzielle Absicherung. Das Bildungssystem und die Arbeitswelt sind so zu gestalten, dass Frauen und Männer die lange Lebenszeit besser nutzen und mehrfache Wechsel zwischen Bildungs-, Arbeits- und Familienphasen ermöglicht werden. Eine familienfreundliche Personalpolitik in öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft ist längst nicht mehr eine betriebliche Sozialleistung, sondern Teil der zielgruppenspezifischen Personalentwicklung unterschiedlicher Personalgruppen, wie die "work-lifebalance-Programme" zur gelungenen Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Wichtig sind auch gezielte Programme, die die Rückkehr nach Familienphasen erleichtern, zum Beispiel durch Vertretungstätigkeiten und Fort- und Weiterbildungen schon während der Elternzeit. Unternehmen sollen zur Durchführung des "Audit Beruf und Familie" gewonnen werden. Anreize für lange Erwerbsunterbrechungen sollen reduziert werden. Das Erziehungsgeld ist zu einer Lohnersatzleistung weiterzuentwickeln, damit die Entscheidung für ein Kind erleichtert wird.
Die FDP ist in den letzten Jahren nicht untätig gewesen und hat sich programmatisch auf allen Gebieten weiterentwickelt, nicht nur in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Mit freundlichen Grüßen
Stephanie Iraschko-Luscher