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Stephan Stracke
CSU
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Frage von Angelika S. •

Frage an Stephan Stracke von Angelika S. bezüglich Bundestag

Ich halte es für dringend nötig, dass der Bundestag kleiner wird, deshalb bitte ich Sie um mehr Engagement für dieses Vorhaben. Es kann nicht sein, dass zwei Vorschläge auf dem Tisch liegen und da lässt man sie liegen und bemüht sich weiter nicht darum, zu einer Einigung zu kommen. Welche Initiativen gibt es von Seiten der Regierungsparteien?

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Antwort von
CSU

Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 26. Mai 2020 zum Thema Wahlrechtsreform. Gerne erläutere ich Ihnen unseren Standpunkt zu diesem komplexen Thema.
Klar ist: Wir als CSU im Bundestag befürworten eine Wahlrechtsreform zur Regulierung der Größe des deutschen Parlaments. Klar ist aber auch, dass wir dieses Ziel nicht um jeden Preis erreichen wollen. Es gilt, eine gerechte Lösung zu finden, die weiterhin alle Bürger möglichst gleichmäßig im Parlament vertritt.
Das aktuelle deutsche Wahlrecht kombiniert das Mehrheits- und Verhältniswahlrecht mit Erst- und Zweitstimme. Während die Zweitstimme das proportionale Verhältnis der Stimmergebnisse für die Parteien auf der gesamten Bundesebene abbildet, stellt die Erststimme sicher, dass auch jeder einzelne Wahlkreis und damit lückenlos jede Region durch einen direkt gewählten Repräsentanten ihrer Bürger im Bundestag vertreten ist. Diese direkte Verantwortlichkeit des Abgeordneten gegenüber seinen Wählern in der Fläche stellt sicher, dass bei Entscheidungen in Berlin auch die speziellen Gegebenheiten in der Fläche Berücksichtigung finden bzw. überhaupt in die Debatte eingebracht werden. Das Mandat des direkt von den Bürgern einer Region gewählten und für sie vor Ort noch ansprechbaren Abgeordneten hat in fast 70 Jahren den demokratischen Entscheidungsprozess gestärkt und auch zu einer breiten Akzeptanz der Entscheidungen des Bundestages entscheidend beigetragen.
Da Erst- und Zweitstimme in der Konsequenz auch bedeutet, dass die Bürger taktische Wahlentscheidungen treffen können – d.h. mit der Zweitstimme einer anderen Partei auf Bundesebene den Vorzug geben, als vor Ort dem Wahlkreiskandidaten – liegt es in der Natur der Sache, dass Erst- und Zweitstimmenergebnis auch voneinander abweichen können.
Dementsprechend spricht das Wahlgesetz von Überhangmandaten, wenn eine Partei mit ihren Wahlkreiskandidaten mehr Wahlkreise (also Erststimmen) gewinnt, als sie auf Bundesebene an Zweitstimmen errungen hat. Um hier das proportionale Verhältnis der Abgeordnetenzahl zwischen den Parteien nach Zweitstimmenergebnis wieder herzustellen, sieht das Wahlgesetz Ausgleichsmandate vor. Damit erhalten die anderen Parteien so viele Mandate zugeteilt, dass das Gesamtverhältnis aller Parteien im Bundestag wieder dem Zweitstimmenergebnis auf Bundesebene entspricht. Bei der Bundestagswahl 2017 kam es zu so vielen Ausgleichsmandaten für alle Parteien, da die Wähler in der Großzahl der Wahlkreise den Kandidaten von CDU und CSU den Vorzug gegeben haben, aber mit ihrer Zweitstimme auch andere Parteien wählten. Durch diesen Erfolg an Wahlkreisstimmen der Union bedingt, waren alle anderen Parteien und vor allem die Parteien, die kaum oder gar keine Wahlkreise gewonnen hatten, wie Grüne, Linke und FDP, dementsprechend mit Ausgleichsmandaten auszugleichen, um den Parteienproporz auf Bundesebene wieder herzustellen.
Dieses dadurch bedingte starke Anwachsen der Abgeordnetenzahl des 19. Deutschen Bundestages hat eine notwendige Diskussion über eine Wahlrechtsreform ausgelöst, um ein weiteres Anwachsen der Mandatszahl zu verhindern bzw. den Bundestag ggf. zu verkleinern. Die aktuelle Diskussion über die Wahlrechtsreform wird nun nahezu ausschließlich auf Reduzierung oder gar Abschaffung von Direktmandaten verengt, was an der Sache vorbeigeht.
SPD, FDP, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DIE LINKE konzentrieren sich vor allem auf die Fragen nach der Streichung von Wahlkreisen bzw. Nichtzuteilung von gewonnenen Wahlkreisen (wenn deren Zahl von den Zweitstimmen abweicht). Dabei ist die pauschale Behauptung, dass Direktmandate die einzige und zwingende Ursache für Ausgleichsmandate und damit den großen Bundestag wären, schlicht falsch.
Die vom Bundeswahlleiter erstellten Berechnungen haben gezeigt, dass sich durch eine Verringerung der Wahlkreise allein keine nennenswerte Reduzierung der Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages erreichen lässt. Es sei denn, es würde eine signifikante Zahl an Wahlkreisen gestrichen werden; die Rechenmodelle gehen hier von 60 bis 100 Wahlkreisen aus, die dafür aufgelöst werden müssten. Angesichts von aktuell 299 Wahlkreisen im Bundesgebiet würde der Wegfall von bis zu einem Drittel der Wahlkreise jedoch bedeuten, dass dünnbesiedelte Regionen und Bundesländer kaum mehr mit Abgeordneten im Bundestag vertreten wären. Eine solche Streichung von Wahlkreisen würde folglich die regionale Bindung der Politiker an ihre Wähler immer mehr auflösen und eine Schwächung der demokratischen Institution Bundestag bedeuten. CDU und CSU halten es schon nicht für zielführend, dass einige Regionen im Zweifel überrepräsentiert sind und anderen hingegen gar nicht. Dies gilt auch für alle weitergehenden Überlegungen zu einem gänzlichen Verzicht auf das Direktmandat oder Überlegungen, Reihenfolgen bei Erststimmen einzuführen, was in der Folge dazu führen könnte, dass einige Wahlkreise gar nicht mehr vertreten wären, wenn der gewählte Wahlkreisgewinner in der Reihenfolge im Vergleich zu anderen zu schlecht abschneidet. Damit würde man der parlamentarischen Demokratie einen Bärendienst erweisen und Politikverdrossenheit Vorschub leisten.
Sehr problematisch ist der - nun mittlerweile von der SPD forcierte – Vorschlag, gewonnene (!) Wahlkreise nicht zuzuteilen bzw. die hier gewählten Abgeordneten nicht zuzulassen, wenn die Zahl der gewonnenen Wahlkreise über die der Partei nach Zweitstimmenergebnis zustehende Mandatszahl hinausgeht. Dies würde die Erststimme als Wählerstimme schlicht entwerten und außerdem dazu führen, dass ganze Wahlkreise ohne Vertretung im Bundestag wären.
Gleichwohl treten CDU und CSU weiterhin für eine Wahlrechtsreform mit dem Ziel einer Begrenzung der Größe des Bundestags ein. Entscheidend ist aus unserer Sicht, dass eine gefundene Lösung nachhaltig ist; das heißt, dass sie eine Garantie bietet, dass der Bundestag tatsächlich nicht ungebremst anwächst. Die bisher vorgelegten Vorschläge sind diesbezüglich jedoch ungeeignet. Der Vorstand der CSU hat sich daher auf einen Vorschlag geeinigt, der eine Höchstgrenze des Bundestages vorsieht. Diese kann bei 650 oder auch 690 Sitzen liegen. Die Zahl der Wahlkreise sowie das Wahlrecht würden unverändert bleiben. Um die Höchstzahl einzuhalten, würden die Mandate bei jeder Partei entsprechend dem Wahlergebnis prozentual heruntergerechnet. CDU und CSU wollen hier weiterhin auf eine Einigung im Konsens mit allen Parteien hinwirken, um unser bewährtes Wahlsystem zu sichern und zukunftsfest zu machen.
Sehr geehrte Frau Sirch,
ich betone noch einmal, dass wir als CSU im Bundestag einer Wahlrechtsreform grundsätzlich positiv gegenüberstehen und diese keineswegs zu verhindern versuchen. Im Gegenteil wollen wir eine Lösung zur Minimierung des Parlaments finden, die gerecht und demokratiefreundlich ist. Ich denke, dies ist auch in Ihrem Sinne.
Abschließend möchte ich mich noch einmal für Ihr Schreiben bedanken.
Mit freundlichen Grüßen

Stephan Stracke

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