Frage an Stephan Kühn von Achim Jannasch, Dr. I. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Kühn,
als selbstständiger IT-Berater - momentan für zwei Auftraggeber in Berlin tätog - bin ich beunruhigt über die Gefährdung des Modells Freelancer durch den Referentenentwurf zu §611a BGB.
Können Sie mich bitte über den Stand und eventuelle Befürchtungen unterrichten?
Herzliche Grüße,
Achim Jannasch
Sehr geehrter Herr Jannasch,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu der anstehenden Regulierung der Werk- bzw. Dienstverträge.
Die Schwarz-Rote Koalition hat sich schon im Koalitionsvertrag auf einige Maßnahmen verständigt. Ziel dieses Gesetzes ist es, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu unterbinden sowie sogenannter Schein-Selbstständigkeit von Personen, die durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit in prekäre Situationen gedrängt werden, entgegen zu wirken. Dieses Ziel unterstützen wir grundsätzlich. Die von Ministerin Nahles geplante Umsetzung lehnen wir jedoch ab.
Die Bundesregierung plant Abgrenzungskriterien abhängiger Beschäftigung von anderen Vertragsformen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und will damit den Missbrauch von Werkverträgen an Drittfirmen sowie Schein-Selbstständigkeit gleichermaßen und mit denselben Kriterien unterbinden. Wir sind der Auffassung, dass das den unterschiedlichen Problemen nicht gerecht wird. Insbesondere die Unterscheidung zwischen Schein-Selbstständigkeit und tatsächlicher Selbstständigkeit ist schwierig. Ein Grund dafür ist, dass die Gruppe der Selbstständigen sehr uneinheitlich ist. Viele haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden und brauchen – sofern sie tatsächlich für das Alter abgesichert sind – den Schutz und die Fürsorge des Staates nicht. Sie können im Regelfall gut von ihren Honoraren leben.
Dumpinghonorare und Scheinselbständigkeit sind mit einer nachhaltigen und fairen Unternehmenskultur nicht zu vereinbaren. Wir dürfen Selbständige aber auch nicht unter Generalverdacht stellen. Ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, prüft die Deutsche Rentenversicherung durch ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren. Sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber können bei der Clearingstelle der Rentenversicherung für klare Verhältnisse sorgen. Dieses Verfahren ist jedoch sehr bürokratisch, intransparent und wird für die Betroffenen schnell zu einem unternehmerischen Risiko. Wir brauchen nachvollziehbare und rechtssichere Kriterien für das Vorliegen einer Selbständigkeit. Im Prinzip muss gelten: Wer eine wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit nachweisen kann, ist selbständig.
Uns ist bewusst, dass unzeitgemäße Abgrenzungskriterien, langwierige Statusfeststellungsverfahren, viel Bürokratie und widersprüchliche Gerichtsurteile eine massive Beeinträchtigung für viele Selbstständige und Freiberufler darstellt. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind zentrale Leitmotive für grüne Politik und wichtige Gründe für Menschen, sich selbständig zu machen. Wir wollen mit unserer Politik Risikobereitschaft und Kreativität fördern und sie nicht behindern. Das Statusfeststellungsverfahren muss daher rechtssicher und transparent reformiert werden – z.B. mit einer Positivliste, die gut abgesicherten Selbständigen Rechtssicherheit verschafft. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, die gesetzlichen Abgrenzungskriterien im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht zu vereinheitlichen, um mögliche Doppel- bzw. Dreifachprüfungen zu vermeiden.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Teil der formal Selbstständigen - meist unfreiwillig - mit niedrigsten Einkommen auskommen müssen, die kaum ihre Ausgaben decken. Dazu gehören z.B. viele PaketzustellerInnen, Lehrkräfte und Pflegende. Viele von ihnen haben nur einen Auftraggeber, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind. Ein Viertel aller Selbstständigen erzielt rechnerisch ein Einkommen von weniger als 8,50€ pro Stunde (DIW 2015). Oft landen diese Menschen spätestens im Alter in der Grundsicherung.
Notwendig sind deshalb klare, an eine moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die Scheinselbstständigkeit unterbindet, ohne die tatsächlichen Selbstständigen in ihrer Tätigkeit zu beeinträchtigen, sondern vielmehr diese zu unterstützen. Die in der Bundesregierung angedachten Regelungen sind nach unserer Überzeugung dafür ungeeignet. Ein Gesetzentwurf in dieser Form, werden wir im parlamentarischen Verfahren deutlich kritisieren. Wir selbst arbeiten gerade an einem Vorschlag, der eine einfache und praxistaugliche Abgrenzung möglich macht. Für Ihre Anregungen sind wir dankbar.
Für uns Grüne steht im Vordergrund, den Missbrauch der Werk- und Dienstverträge zu verhindern und gleichzeitig die Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggebenden zu erhöhen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn MdB