Frage an Stephan Kühn von Johann S. bezüglich Wirtschaft
Werter Herr Kühn,
wird derzeit in ihrer Fraktion/Partei ernsthaft darüber nachgeacht, offene und generelle Wachstumskritik zu üben?
Ich frage, weil ich weiß, dass die Grünen für eine Art des ´Grünen Wachstums´ eintreten (also Wachstum, aber nicht um jeden Preis). Dies beruht jedoch auf dem Gedanken der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umwelteinwirkungen (Landverbrauch, Emission etc.); letztere müssten ja schnell drastisch reduziert werden, um z.B. noch ein 2°-Ziel zu erreichen.
Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gelangt, dass das nicht möglich ist und ein bald einsetzendes Schrumpfen der Wirtschaft (als Grundgedanke speziell in weit entwickelten Ländern wie Deutschland) sehr vernünftig wäre.
Freundliche Grüße aus Dresden,
Johann Schiel.
Sehr geehrter Herr Schiel,
vielen Dank für Ihre Anfrage und bitte entschuldigen Sie meine verspätete Rückmeldung.
Wir Grünen beschäftigen uns schon seit langem mit der Thematik Wirtschaft und Wachstum und der Möglichkeit alternativer Wirtschafts- und Wohlstandsmodelle, die unsere Lebensgrundlagen nicht zerstören und die begrenzten Ressourcen mitdenken. Denn die große Herausforderung unserer Zeit ist der Klimawandel und vor diesem Hintergrund das Zusammenspiel zwischen Ökologie und Ökonomie, dass in unseren Augen keinen Widerspruch darstellt.
So hat sich die Grünen-Bundestagsfraktion für die Einberufung der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der sozialen Marktwirtschaft" im Deutschen Bundestag stark gemacht und den überparteilichen Diskurs gefördert. Die Kommission beschäftigte sich in der letzten Legislaturperiode mit dem Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft, der Suche nach einem neuen Wohlstands-Indikator und der Entkopplung des Wirtschaftens vom Ressourcenverbrauch. Am 19. September 2014 fand der Grüne Freiheitskongress der Bundestagsfraktion statt, bei dem u.a. die Themen Freiheit, Konsum, Gerechtigkeit und Ökologie diskutiert wurden.
Für uns Grünen ist Wachstum kein Ziel von Politik, sondern lediglich Folge von politischem Handeln. Ziel grüner Politik ist eine zukunftsfähige, ressourcenschonende und gerechte Gesellschaft und Wirtschaft. Um dies zu erreichen, müssen wir einen nachhaltigen Wandel unserer Industriegesellschaft vorantreiben, umweltschädliche Prozesse wirksam reduzieren und den sozialen Ausgleich (wieder) herstellen. Dies wird auch mit Schrumpfungsprozessen verschiedener Sektoren einhergehen. Welche Wachstumsraten sich im Ergebnis dabei langfristig einstellen werden, kann heute nicht bestimmt werden.
In vielen Umweltbereichen haben wir die "Grenzen des Ge- und Verbrauchs" schon längst überschritten. Dies zeigt sich besonders durch den ungebremsten und rapide fortschreitenden Klimawandel, dem nicht wieder gut zu machenden Verlust an Biodiversität und den Störungen des globalen Stickstoffkreislaufs. Wir haben aber auch noch lange nicht erreicht, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Wachstum ging in den vergangenen Jahrzehnten mit einer zunehmenden Spreizung der Einkommens- und Vermögensverteilung einher. Um ein sozial und ökologisch gerechtes Leben zu ermöglichen, sind ein radikales Umdenken und ein Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Nachhaltigkeit erforderlich. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen setzt sich deshalb für eine sozial-ökologische Transformation ein. Dazu brauchen wir einen Ordnungsrahmen, der Leitplanken setzt für ein ökologisch und sozial verträgliches Wirtschaften.
Angelehnt an die Ergebnissen der Enquete-Kommission vom Mai 2013, haben wir im vergangenen Jahr einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht. In diesem gaben wir, zusammen mit der SPD, ein ergänzendes Sondervotum zu den, aus unserer Sicht doch etwas unzureichenden Ergebnissen, ab. Den Entschließungsantrag (Drucksachennummer 17/13731) finden Sie HIER.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn