Frage an Stephan Kühn von Oksana R. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Guten Tag!
Mich beschäftigt zur Zeit ziemlich das Thema Saatgut. Mit Besorgnis verfolge ich die Entwicklung in Richtung Hybrid-Saatgut, das nur von einigen wenigen Unternehmen weltweit verkauft werden soll. Nun soll demnächst die Europäische Kommission die Monopolisten weiter stärken und es sogar den Kleingärtnern erschweren, selbst Saatgut herzustellen und anzubauen.
Nirgends kann ich finden, wodurch solche drastischen Eingriffe in die Freiheit eines jeden Menschen gerechtfertigt oder gar gesetzlich erlaubt wären.
Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Nach welchen Gesichtspunkten entscheidet die Europäische Kommission das?
Wie ist zu erklären, dass das Europäische Patentamt, bei dem ziemlich abstruse Patentanträge sogar für die Züchtung von normalen Nutztieren an die ´Großen´ erteilt werden, völlig politisch unkontrolliert agieren kann?
Schöne Grüße
Oksana Rucker
Sehr geehrte Frau Rucker,
vielen Dank für Ihre Email! Auch wir betrachten die Entwicklungen im Saatgut-Bereich mit Sorge. Deutschland ist (noch) ein Land mit einer sehr vielfältigen Züchtungslandschaft, zwischen großen Saatgut-Konzernen wie z. B. der KWS AG und kleinen, ehrenamtlichen Initiativen, die sich für die Erhaltung bestimmter Obst- oder Gemüsesorten engagieren, gibt es eine große Bandbreite von professionellen und/oder nichtkommerziellen Akteuren.
Die große Bedeutung einer breiten genetischen Vielfalt - auch und gerade bei Nutzpflanzen oder -tieren - war und ist für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen immer ein zentrales Thema unserer Agrarpolitik. Deshalb haben wir uns bereits im letzten Jahr in die Diskussion um die neue EU-Saatgutverordnung eingebracht.
Dabei ist es wichtig, auch die bereits geltenden Regelungen im Blick zu haben. Anders als z. T. behauptet, bedeuten die meisten Elemente der neuen EU-Verordnung keine "Verschärfung", sondern schreiben nur den Ist-Zustand fort.Schon jetzt müssen professionelle Züchter ihre Sorten nach einem festen Prüfungs- und Anmeldeverfahren registrieren. Und bereits seit 2008 bzw. 2009 gibt es die sogenannten "Erhaltungssorten-Richtlinien" (2008/63/EG und RL 2009/145/EG), in den Erleichterungen für die Zulassung "alter" Sorten festgelegt sind. Auch die neue EU-Verordnung sieht Ausnahmen für kleine Züchter und Erhaltungsinitiativen vor - angebliche Einschränkungen für Hobby- oder Kleingärtner sind übrigens eine Erfindung, die nach unseren Informationen stark von Europagegnern verbreitet wurde.
Das wesentliche Problem der neuen Verordnung, wie auch der alten Richtlinien, liegt woanders: Die genetische Vielfalt ist in den letzten Jahrzehnten z. T. dramatisch zurückgegangen. Auch wenn es auf den ersten Blick noch Tausende von Sorten gibt, basieren die meisten auf nur wenigen Ausgangslinien, die "genetische Bandbreite" ist also nur sehr schmal. Für eine vielfältige und anpassungsfähige Landwirtschaft, die z. T. auf die Veränderungen des Klimas reagieren kann, brauchen wir jedoch nicht wenige Hochleistungssorten, sondern ein breites Spektrum an Sorten und Eigenschaften.
Auch die "Bewertungsmaßstäbe" für neue Sorten waren und sind zu sehr auf Ertrag und Eignung für die konventionelle Landwirtschaft ausgerichtet. Neue Sorten, speziell beim Ökolandbau mit seinen enormen Vorteilen für Mensch, Tier und Umwelt, hatten es deshalb schon in der Vergangenheit in der Sortenprüfung sehr schwer. Außerdem sind die Züchter hier eher kleine Akteure, für die Anmelde- oder Prüfungsgebühren von 5.000 - 10.000 Euro eine oft unüberwindbare Hürde darstellen.
Zwar betont die EU im neuen Verordnungstext immer wieder die große Bedeutung der genetischen Vielfalt und auch des Ökolandbaus. In der konkreten Umsetzung bleiben diese Themen aber "Ausnahmen", die nicht aktiv gefördert werden, sondern höchstens über "Ausnahmeregelungen" Erleichterungen bekommen.
Das kann uns natürlich nicht zufrieden stellen, deshalb werden wir im weiteren Abstimmungsverfahren alles versuchen, um entsprechende Verbesserungen für die Öko-Züchtung und für eine hohe genetische Vielfalt zu erreichen. Denn - auch das wird von einigen Kommentaren übersehen - noch ist die neue Verordnung ja gar nicht in Kraft! Sowohl das Europaparlament, als auch die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten haben in den nächsten Monaten die Gelegenheit, den Vorschlag der Kommission umfassend zu ändern. Hier ist natürlich auch die deutsche Bundesregierung gefordert, die sich bisher außer mit wohlklingenden Presse-Meldungen kaum engagiert hat!
Zu den ebenfalls von Ihnen angesprochenen Patenten auf Pflanzen und Tiere haben wir - gemeinsam mit der SPD - im letzten Jahr einen Antrag in den Bundestag eingebracht (Drs. 17/8344), der am 9. 2. 2012 von allen Fraktionen angenommen wurde (ein sehr seltenes Ereignis im Parlament!).
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn