Frage an Stephan Kühn von Uwe K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kühn,
am 29. September 2011 soll über den Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) abgestimmt werden. Mich würde interessieren ob sie für oder gegen das entsprechende Bundesgesetz zu stimmen.
Auch wenn immer wieder betont wird, dass die dort bereit gestellten Gelder lediglich Kredite und zum grössten Teil nur Bürgschaften sind, so stellt sich doch die Frage, wie diese Kredite und Bürgschaften durch die Nehmerländer abgesichert sind. Finnland hat vor gemacht wie eine solche Absicherung aussehen könnte. Deutschland scheint auf Sicherheiten seitens der Nehmerländer zu verzichten. Anbetracht fehlender Sicherheiten muss man aber davon ausgehen, das Teile des durch die Bundesrepublik in den ESM eingzahlten Vermögens in bestimmten Fällen für Deutschland verloren gehen kann. Wie erklären und begründen sie ein solches Verhalten, welches in der Privatwirtschaft als Veruntreuung strafrechtlich verfolgt würde, in Anbetracht der Tatsache, dass Mittel für soziale Aufgaben in Deutschland gekürzt oder teilweise ganz gestrichen werden und gleichzeitig Milliardenbeträge an Länder in Europa - de facto - verschenkt werden die weit über die für soziale
Aufgaben notwendigen Mittel hinaus gehen.
Mit freundlichen Grüssen
Uwe Kunzak
Sehr geehrter Herr Kunzak,
vielen Dank für Ihre Frage. Gerne möchte ich Ihnen darlegen, wie und warum ich zur Erweiterung des Rettungsschirmes (EFSF) abgestimmt habe.
Die europäische Integration hat Europa Frieden und Wohlstand, der Euro Wechselkurs- und Geldwertstabilität gebracht. Der Euro ist nicht nur ökonomisch in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. Er ist auch ein täglich sichtbares Zeichen der erfolgreichen europäischen Integration und der Einbindung Deutschlands darin. Die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euro wären gerade für Deutschland enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land und braucht die Europäische Union. Der Weg aus der Eurokrise kostet Geld und Mut. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre. Politisch wird eine starke und handlungsfähige EU gebraucht, um den globalen Herausforderungen Finanzmarktkrise, Klima- und Armutskrise begegnen zu können. Denn Europa kann in einer globalen Welt seine Interessen nur wirksam wahrnehmen, wenn es geeint ist und nicht zerfällt. Deshalb ist eine gemeinsame Antwort auf die Schuldenkrise nicht nur ein Akt europäischer Solidarität. Sie liegt auch und gerade im deutschen Interesse.
Mit den Beschlüssen der EU-Gipfel vom März und Juli 2011 wurde vereinbart, dass der derzeitige Euro-Rettungsschirm (EFSF) aufgestockt und mit wichtigen Instrumenten ausgestattet werden soll. Umgesetzt wird die EFSF mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG). Zukünftig kann die EFSF nicht nur Kredite an notleidende Euro-Staaten vergeben, sondern auch zur Vermeidung von Ansteckungseffekten, Staatsanleihen am Sekundär- und Primärmarkt aufkaufen sowie Kredite zur Re-Kapitalisierung von Banken und vorsorglichen Kreditlinien zur Verfügung stellen. Diese neuen Instrumente machen die EFSF und den auf ihr aufbauenden dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) handlungsfähiger.
Für eine dauerhafte Lösung der Krise wird sich die Europäische Union weiterentwickeln müssen. Denn eines hat die Krise deutlich gemacht: mit wirtschafts- und haushaltspolitischer Kleinstaaterei muss endlich Schluss sein. In der Vergangenheit konnten die Regierungen von ihren europäischen Partnern mehr oder weniger unbeachtet rein national geprägte Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitiken betreiben. So haben sich gravierende Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur, der Wettbewerbsfähigkeit und dem Zustand öffentlicher Finanzen aufgebaut. Die EU braucht daher Instrumente mit Durchschlagskraft, die EU braucht mehr Integration, um die Ursachen dieser Krise nachhaltig und sozialverträglich zu bekämpfen:
• Die EU braucht eine demokratisch legitimierte Wirtschaftsunion, die eine aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik möglich macht.
• Die EU wird nur aus der Krise kommen, wenn Schulden und Defizite auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden. Das ist mit Sparen allein aber nicht zu schaffen. Europa braucht trotz aller Konsolidierungsbemühungen Investitionen und Investitionsanreize in den ökologischen und sozialen Umbau der Wirtschaft, die neue wirtschaftliche Dynamik schaffen und den Menschen vor Ort eine Perspektive geben. Herausforderungen wie die Harmonisierung von Steuern, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer müssen ebenso umgesetzt werden wie gemeinsame soziale Mindeststandards.
• Die EU braucht zügig den ESM als dauerhaften Krisenmechanismus. Der ESM stabilisiert den Euro, weil er klare Regeln für Finanz-Notfälle schafft, und er unterbindet spekulative Wetten gegen die Euro-Staaten.
• Um die Probleme von Staaten und Banken endlich zu trennen, braucht Europa einen europäischen Bankenrettungsfonds, der Banken direkt kapitalisieren kann und über eigene Abwicklungskompetenzen auf Basis eines europäischen Insolvenzrechts für Banken verfügt.
Der wahrscheinlich größte Fehler der Bundesregierung ist, dass sie den Menschen nicht genug erklärt, was auf dem Spiel steht. So entstehen auch Gerüchte, die nicht der Wahrheit entsprechen.
Punkt 1:
Der ESM bedeutet keine Übertragung von nationalen Haushaltsrechten an Brüssel
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stellt Kredite für Staaten zur Verfügung, die zeitweise Schwierigkeiten haben, am Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Sollte es absehbar sein, dass der Staat seine Kredite nicht zurückzahlen kann, darf der ESM kein Geld mehr geben und der Staat muss Insolvenz anmelden. Dieses Insolvenzrecht wird gerade auf europäischer Ebene erarbeitet ist die Garantie dafür, dass der ESM kein Fass ohne Boden wird. Ein Fass ohne Boden ist er auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden.
Punkt 2:
Der ESM enthält verbindliche Regeln zur Beteiligung von Banken Im ESM-Vertrag ist festgelegt, dass ein überschuldeter Staat erst dann Kredithilfen aus dem ESM bekommt, wenn die privaten Gläubiger (zum Beispiel Banken) beteiligt werden. Das ist richtig, denn wer Wertpapiere eines Landes kauft und Zinsen kassiert, muss auch das Risiko eines Ausfalls tragen. In den vorgesehenen Klauseln zu einer möglichen Umschuldung (Collective Action Clauses), die nun bis Ende des Jahres ausgearbeitet werden sollen, wird ein Verfahren zur Beteiligung des Privatsektors festgeschrieben. Solch eine verbindliche Insolvenzordnung ist ein zentraler Schlüssel zur Stabilisierung der Eurozone. Zudem muss der ESM gegenüber anderen Gläubigern - so wie im ESM-Vertrag bereits vorgesehen - im Falle eines Bankrotts des betroffenen Staates bevorzugt werden. Damit haben Steuergelder immer Vorfahrt vor privaten Geldern.
Punkt 3:
Die umfassende Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen des ESM ist möglich Die Regierung zankt seit Monaten mit ihren Fraktionen, wir Grüne sagen wie es geht: Die bereits bestehenden Gesetze über die Mitwirkung und Beteiligung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der EU (EUZBBG und IntVG) müssen als Vorbild für die künftige Parlamentsbeteiligung beim ESM herangezogen werden: Art und Höhe der deutschen Beiträge werden durch Gesetz bestimmt und können nur nach einem Änderungsgesetz verändert werden.
Ebenso muss der Bundestag zustimmen, wenn dem ESM weitere Handlungsinstrumente zur Verfügung gestellt werden sollen. Darüber hinaus soll die Bundesregierung vor jeder Anwendung des Rettungsschirms Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Der Bundestag muss sich zu ESM-Aktionen positionieren, ein Schweigen reicht nicht aus!
Unterm Strich habe ich am 29.09. zugestimmt, weil ich glaube, dass es hilft, die Eurozone zu stabilisieren und den Weg für mehr europäische Integration bereitet.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn